Als 1959 an der Universität Frankfurt die erste Poetikvorlesung eingerichtet wurde, hieß es in der Eröffnungsrede, die Poetikvorlesung solle sich »in freier, noch zu findender Form« entwickeln und eine »Brücke zwischen Dichtkunst und der Wissenschaft bilden«. Dem Brückenschlag zwischen Kunst und Wissenschaft gilt auch die Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik, die 2010 vom Institut für Germanistik der Universität Wien, der Alten Schmiede und dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ins Leben gerufen wurde: Jedes Sommersemester wird ein*e deutschsprachige*r oder internationale*r Autor*in mit der Dozentur betraut. Die dichterischen und gesellschaftspolitischen Perspektiven Ernst Jandls sind den vortragenden Gästen als mögliche Orientierungsmarken oder Anknüpfungspunkte angeboten. Die Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik ist in eine Lehrveranstaltung am Institut für Germanistik der Universität Wien eingebettet und inkludiert eine Veranstaltung in der Alten Schmiede.

Zitat: Helmut Vierbrock: »Rede zur Einführung von Ingeborg Bachmann am 25. November 1959 bei der Inauguration der Stiftungs-Gast-Dozentur für Poetik«

2024

Bodo Hell (Österreich):

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema AUFZÄHLEN ERZÄHLEN QUERZÄHLEN oder: versuchen wir die Folgen der einstigen Karl-May-Identifikationslektüren (unter der Bettdecke) endlich hinter uns zu lassen!

2023

Raoul Schrott (Österreich):

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema Kognition und Gedicht
1. Vorlesung: Die biologischen Grundlagen der Poesie
2. Vorlesung: Das Abwesende und die Musen

2022

Péter Nádas (Ungarn):

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium
1. Vorlesung: Haydn im Plattenbau
2. Vorlesung: Schreiben als Beruf

2021

Franzobel (Österreich):

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema NORM UND ABWEICHUNG
1. Vorlesung: Im Hirnsaal I: Formale Kuriositäten
2. Vorlesung: Im Hirnsaal II: Essenz und Stränge

2020

Michael Donhauser (Österreich)

Zwei Vorlesungen – mit Diskussion

1. Vorlesung: Zu den Dingen
2. Vorlesung: Zwei Bildbeschreibungen

2019

Michael Lentz (Österreich)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema INNEHABEN. ENÁRGEIA

1. Vorlesung: Organon der Ekphrasis. Klärung einiger Begriffe der spezifischen Beziehung von Literatur und bildender Kunst
2. Vorlesung: Ekphrastische Psychogeographie. Über die spezifische Beziehung zwischen Text und Bild im Roman Schattenfroh

2018

Peter Waterhouse (Österreich)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema IM ÜBERGANG ZU ETWAS NICHT ERKENNBAREM. Ein Studium dreier Werke von Ingeborg Bachmann, Inger Christensen und Rosmarie Waldrop

1. Vorlesung: Todesarten Todesraten
2. Vorlesung: In Klusion

2017

Valeri Scherstjanoi (Russland – Deutschland)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema ZWEI GENERATIONEN. ZWEI WELTKRIEGE. EINE AVANTGARDE. Poetologisch-autobiografische Skizzen

1. Vorlesung: Chlebnikow, Majakowski, Krutschonych, Kamenski, Carlfriedrich Claus, Ernst Jandl –
Sowjetunion, DDR

2. Vorlesung: Lautdichtung, Scribentismen

2016

Barbara Köhler (Deutschland)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium
(dokumentiert in Wespennest 171 & 172)

1. Vorlesung: SEITENVERHÄLTNISSE 1 – ANDERERSEITS (des eigenen Blicks auf die Homerische Odyssee)
2. Vorlesung: SEITENVERHÄLTNISSE 2 – EINERSEITS (des eigenen Blicks auf die Homerische Odyssee)

2015

Peter Rosei (Österreich):

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema BROWN VS. CALDER. Gedanken zur Dichtkunst  
Publikation: Brown vs. Calder. Gedanken zur Dichtkunst, Sonderzahl Verlag, 2015

2014

Elfriede Czurda (Österreich)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema SPRACHE – DENKEN – ZEICHEN

2013

Marcel Beyer (Deutschland)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema DIE UNFÄHIGKEIT ZU IMAGINIEREN (dokumentiert in Wespennest 165 & 166)

1. Vorlesung: Bildpolitik
2. Vorlesung: Wirkliches Erzählen

2012

Ferdinand Schmatz (Österreich)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema MIMESIS UND SYNÄSTHESIE. Zur Konzeption der Wirklichkeit in der Poesie  (dokumentiert in: DICHTUNG FÜR ALLE – Wiener Ernst-Jandl-Vorlesungen zur Poetik, Haymon Verlag, 2013)

1. Vorlesung: AUGGEDRÖHN OHRGESEHN BILDGETÖN – Die wuchernden Um-Ordnungen. Zur Realisation von Freiheit in der Poesie.
2. Vorlesung: BLICKT ZU MIR DER TÖNE LICHT – Dichtung im Garten der Sinne und des Gehirns. Zur Verdrehung von Sensorik und Kognition in der Poesie.

2011

Brigitte Kronauer (Deutschland)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema Mit Rücken und Gesicht zur Gesellschaft  (dokumentiert in: DICHTUNG FÜR ALLE – Wiener Ernst-Jandl-Vorlesungen zur Poetik, Haymon Verlag, 2013)

1. Vorlesung: Über Avantgardismus
2. Vorlesung: Über Politik in der Literatur

2010

Alexander Nitzberg (Deutschland/Österreich)

Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema MNEMOSYNE und MNEMOTECHNIK  (dokumentiert in: DICHTUNG FÜR ALLE – Wiener Ernst-Jandl-Vorlesungen zur Poetik, Haymon Verlag, 2013)


programm

Dienstag, 4. Juni

JANDL-POETIKDOZENTUR

27.5./3.&4.6.
Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik 2024: Bodo Hell


Zwei Vorlesungen und ein Konversatorium zum Thema AUFZÄHLEN ERZÄHLEN QUERZÄHLEN oder: versuchen wir die Folgen der einstigen Karl-May-Identifikationslektüren (unter der Bettdecke) endlich hinter uns zu lassen!

also: einige HilfsBeispiele von ProsaStrategien, dargestellt in historischen und zeitgenössischen Anregungen und an eigenen Texten, u.z. als Legenden (Fortschreibungen), Ikonographien (qua Bildwunder: sei’s Madonnenmilch), Emblematiken (samt abseitigen Subskriptionen), Itinerare (ausnahmsweise keine stimmigen Venedig- oder SalzkammergutEindruckstexte), profane Litaneien (endreimend), Listenweisheit (zur Wortbildungslehre), WortlautMontagen (samt Trivialwendungen), Wissenschaftsprosa (in stolpernden Neologismen), schräge Bild- und Textsorten (etwa zum automatischen Schreiben bei Jakob Lorber und Margarethe Held: ›zustandsgebundene Kunst‹).

B. Hell

19:00
Bodo Hell
Thomas Eder
Konversatorium zu den zwei Vorlesungen

Bodo Hell, *1943 in Salzburg. Studien am Salzburger Mozarteum (Orgel), an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Film und Fernsehen) sowie an der Universität Wien (Philosophie, Germanistik und Geschichte). Lebt in Wien und am Dachstein. Prosa, radiophone Arbeiten, Theater, Text im öffentlichen Raum, Fotos, Film, Musik, Almwirtschaft. Publikationen (Auswahl): Dom Mischabel Hochjoch. 3 Bergerzählungen (1977); Stadtschrift (1983); Larven Schemen Phantome/Der Donner des Stillhaltens (mit F. Mayröcker, 1986); 666. Erzählungen (1987); wie geht’s. Erzählungen (1989); mittendrin. Erzählungen (1994); Herr im Schlaf. Ein Griff ins emblematische Alltagstheater (1996); Die Devise lautet. Erzählung (1999); Augenklappe (Fotografie: O. Saxinger, 2000); Tracht : Pflicht. Lese- und Sprechtexte (2003); Nothelfer. Essay (2008); Herbe Garbe, Weiberkittel. Von Heiligen, Pflanzen und Substanzen (mit E. Wallnöfer, P. u. W. Kubelka, 2008); Admont Abscondita. Prosa (mit N. Trummer, 2008); immergrün. Sudarium. Calendarium (mit L. Wolfsgruber, 2011); Im Flug der Tage (m. Zeichnungen von L. Waber, 2013); Bodo Hell Omnibus. Texte zu / Beiträge von Bodo Hell (2013); Landschaft mit Verstoßung. Ein dreifaltiges Hörstück (mit F. Mayröcker und M. Leitner, 2014); Matri Mitram. Engelsgespräche/Bildersturm (mit Zeichnungen von N. Trummer, 2014); Ritus und Rita. neue Legenden und Liebeserklärungen (2017); Parallelprosa mit Insel Werd (mit Z. Gahse, 2017); Wilder Dachstein (mit E. Wallnöfer u. P. Kubelka, 2018); Auffahrt. neue Hagiographien (2019); Ötzi 1991991. eine Rekapitulation (mit M. Leitner, 2019); begabte Bäume (mit Zeichnungen von L. Wolfsgruber, 2023).

Thomas Eder, *1968, Literaturwissenschaftler und -vermittler. Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Wien, Referatsleiter für Publikationswesen und Grafik im österreichischen Bundeskanzleramt. Publikationen (Auswahl): Kosmöschen Steiger (Hg., 2015); Konrad Bayer. Texte – Bilder – Sounds (hg. mit K. Kastberger, 2015); Selbstbeobachtung. Oswald Wieners Denkpsychologie (hg. mit T. Raab, 2015); Einfache Frage: Was ist gute Literatur? (hg. mit F. Huber, A. Kim, K. Neumann, H. Neundlinger, 2016); Franz Josef Czernin (Hg., 2017); Dieter Roth. Zum literarischen Werk des Künstlerdichters (hg. mit F. Neuner, 2021); Die Sprachkunst Gerhard Rühms (Hg. mit P. Pechmann, 2023).



empfohlene Lektüren zum Thema sind u.a.:

Jacobus de Voragine (›vom Abgrund‹): Legenda Aurea (diverse Ausgaben, einst weiter verbreitet als die Bibel, darin etwa die ›Siebenschläfer‹).

Gertrude Stein: Erzählen (Übersetzung: Ernst Jandl) bibliothek suhrkamp, 1971.

Ernst Jandl: sozusagen ein bild: rohrmoos sommer 72, 6 Seiten (Gertrude-Stein-Reflex).
Erschienen in: Ernst Jandl: Gesammelte Werke. Dritter Band. Stücke und Prosa. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand Verlag 1985, S. 420–425.

Ernst Jandl: kleinere ansprache an ein größeres publikum, 1977 (Fäkalprosa), 4 Seiten.
Erschienen in: Ernst Jandl: Kleinere Ansprache an ein größeres Publikum. Hermannstraße 14, Heft 1, 1978, S. 107.
Ernst Jandl: Gesammelte Werke. Dritter Band. Stücke und Prosa. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand Verlag 1985, S. 430–436.

Gerhard Rühm: Albertus Magnus Angelus (alphabetisch), Residenz, 1989.

Friederike Mayröcker: »als der bau knecht erstmals ins haus kam, (permutativ)«. In: je ein umwölkter gipfel. Luchterhand, 1973.

Friederike Mayröcker: Heiligenanstalt. Suhrkamp, 1978 (4 Musikerbiographien, etwa jene von Chopin aus verschollenen Briefen).

Bodo Hell: Ritus und Rita (darin: »Cäcilia«), Auffahrt (Hagiographien, darin: Jakob Lorber: »Die Fliege«), Droschl Essay, 2017/ 2019.

Bodo Hell/Hil de Gard: mittendrin. Droschl, 1994, darin die Kapitel »Auskunft der Auskunft« (114) und »reales Getränk« (157).

Bodo Hell/Linda Wolfsgruber: begabte Bäume. Droschl, 2023, darin: »Photosynthese (Liste)«.

Autograph Ernst Jandl (roter Kugelschreiber auf einer Zuweisungsdiagnose, Echokardiographie 1995):

Bodo mit der Ziegenzunge
ist ein strammer alter Junge
dem das Herz nicht mehr bedeutet
als der Kuh die Glocke läutet
(For Whom The Bell tolls …)                                 

B. Hell

ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Bundeskanzleramt/Sektion Kunst und Kultur, dem Institut für Germanistik der Universität Wien und der Gesellschaft zur Erforschung von Grundlagen der Literatur