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»mein ander Jch ist fort«

Blog, 31. März 2022
In der Reihe »Dichter*innen lesen Dichter*innen« stellen Margret Kreidl und Michael Hammerschmid am 5. April die Lyrik der Greifswalder Barockdichterin Sibylla Schwarz vor. Das folgende Sonett erschien in der zwölf Jahre nach ihrem frühen Tod als 17-Jährige veröffentlichten Ausgabe von 1650, die ihr Hauslehrer Samuel Gerlach in zwei Bänden herausgegeben hat. In den letzten Jahren erlebte das nie vollständig abgerissene Interesse an Sibylla Schwarz' Dichtung eine Renaissance. Das Sonett »Mein Alles ist dahin« besticht nicht zuletzt durch seinen innig ausgestalteten Gehalt und seine frei verwendete strenge Form und steht in der Tradition der petrarkischen Liebesdichtung, die Sibylla Schwarz, vor allem durch Martin Opitz vermittelt, als Vorbild galt.


Mein Alles ist dahin / mein Trost in Lust und Leiden /
mein ander Jch ist fort / mein Leben / meine Zier /
mein liebstes auff der Welt ist wegk / ist schon vohn hier.
(die Lieb’ ist bitter zwahr / viel bittrer ist das Scheiden)
       Jch kan nicht vohn dir seyn / ich kan dich gantz nicht meiden /
O liebste Dorile ! Jch bin nicht mehr bey mir /
Jch bin nicht der ich bin / nun ich nicht bin bey dir.
Jhr Stunden lauft doch fort / wolt ihr mich auch noch neiden?
       Ey Phœbus halte doch die schnelle Hengste nicht!
fort / fort / ihr Tage fort / komb bald du Monden Licht!
       Ein Tag ist mir ein Jahr / in dem ich nicht kan sehen
mein ander Sonnenlicht ! fort / fort / du faule Zeit /
spann doch die Segel auff / und bring mein Lieb noch heut /
und wan sie hier dran ist / so magstu langsam gehen.



Quelle: Schwarz, Sibylla: Werke 1: Briefe, Sonette, Lyrische Stücke, Kirchenlieder, Ode, Epigramme und Kurzgedichte, Fretowdichtung. Hg. Michael Gratz. Leipzig: Reinecke & Voß, 2021, S.46.