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StreitBar 3/3:
Work-Write-Balance, oder: Wo hört das Brot auf, wo fängt der Traum an
Work-Write-Balance, oder: Wo hört das Brot auf, wo fängt der Traum an
von Didi Drobna
Ich muss schreiben: am besten einen Roman. Empfohlen ist eine Veröffentlichung in einem renommierten Verlag alle drei bis fünf Jahre.
Ich muss arbeiten: am besten in einem Corporate-Job in einer zukunftsfähigen Branche. Empfohlen ist für den Karrieresprung, den Arbeitgeber alle drei bis fünf Jahre zu wechseln.
Ich muss mich früh etablieren, denn der Literaturbetrieb mag U-40-Nachwuchs und ich habe dann noch keine Kinder und genug Energie, das wegzustemmen. Aber ich darf nicht auch zu früh dran sein, weil mich in einem überalterten Betrieb sonst niemand ernst nimmt.
Ich muss früh in einem Unternehmen ein- und aufsteigen, denn Arbeitgeber mögen leistungswilligen Nachwuchs und ich habe dann noch keine Kinder und genug Energie, das wegzustemmen. Aber ich darf auch nicht zu früh dran sein, weil mich in der Senior-Management-Etage sonst niemand ernst nimmt.
Ich soll neben der Literatur journalistische Texte und Essays in Tageszeitungen veröffentlichen, um dem Literaturbetrieb sowie der Leserschaft in Erinnerung zu bleiben.
Ich soll neben dem Tagesgeschäft Fachartikel und Corporate Content publizieren, um meine Expertise zu stärken und mein Profil zu schärfen.
Ich soll wochen- und monatelange Residencies an fernen, abseitigen Orten machen und für 800 Taschengeld durch ständige Anwesenheit glänzen als auch einen umfassenden Text über die Vorzüge des Landlebens schreiben.
Ich soll weniger als fünf Wochen Urlaub im Jahr konsumieren und Zeitausgleich am besten gar nicht. Homeoffice bleibt ein seltenes Zuckerl, das mir großzügig gewährt wird.
Ich soll mich auf Social-Media-Kanälen als Autorin nahbar machen und private Einblicke gewähren, um mit der Leserschaft in Kontakt zu kommen und diese emotional zu aktivieren.
Ich soll meine Kompetenzen und Leistungen auf Business-Netzwerken zur Schau stellen, um Recruiter auf mich aufmerksam zu machen und neue Jobangebote leveragen zu können.
Ich soll Kontakte knüpfen: mich dem Literaturbetrieb bekannt machen, dem Buchhandel, dem Feuilleton, den Verlagen sowie den Veranstalterinnen und Veranstaltern und natürlich den Leserinnen und Lesern als auch meinen schreibenden KollegInnen.
Ich soll Kontakte knüpfen: mich bei Vernetzungsevents mit BranchenvertreterInnen connecten, mit Stakeholdern und ProjektkollaborateurInnen sowie UnternehmenspartnerInnen und KonkurrentInnen.
Ich soll Lesungen im In- und Ausland absolvieren und Publikum zum Veranstaltungsbesuch motivieren, ich soll natürlich aber auch selbst bei jedem Event Bücher verkaufen. Ich soll mit großzügigem Puffer an/abreisen, um Flug-/Bahnverspätungen zu schlucken und Zeit für charmante Abende mit den VeranstalterInnen sowie den LeserInnen zu haben.
Ich soll mir Urlaub oder Zeitausgleich in der Firma zur Erholung nehmen, ich soll mich über die Wochenenden regenerieren. Ich soll nach Feierabend durchatmen und früh schlafen gehen.
Ich soll den Literaturnachwuchs ausbilden und an der Universität Schreiben lehren, ich soll die literarische Verhandlung der Gegenwartsliteratur am Leben halten und als Jurorin bei Wettbewerben arbeiten, ich soll die Vielseitigkeit und Notwendigkeit des Lesens vermitteln und Workshops für Schulen konzipieren, die nichts Geringeres als die Liebe zur deutschen Sprache entfachen soll, ich soll mich aktiv am Literaturbetrieb beteiligen und bei SchriftstellerInnenvereinen tätig sein.
Ich soll den Nachwuchs onboarden und neue KollegInnen einschulen, ich soll zur Strategie und Zielerreichung des Unternehmens beitragen, ich soll Benchmarks für die kommenden Quartale erstellen und sie auch verlässlich erreichen, ich soll die Firmenvision nach außen hin vertreten und Content in Text, Bild und Video createn, ich soll kollaborieren und Menschen einzeln und in Teams leiten, ich soll umsatz- und effizienzsteigernd arbeiten.
Ich soll in allem funktionieren, alle Deadlines einhalten, nicken und lächeln. Oder anders: am besten keine Kinder, keine Familie, keinen Partner, keine Pflegeverpflichtungen und überhaupt kein Privatleben haben, um dem Markt da wie dort zur Verfügung zu stehen.
Ich führe zwei Arbeitsleben in einem. Der Tag hat 24 Stunden. Ich bin 34 Jahre alt und ich bin müde. Müde von der Mehrbelastung und der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion von Brotberuf und Traumjob. Die eine Bezeichnung überhöht und romantisiert, die andere degradiert. Der Traumjob ist in dieser Dichotomie natürlich die künstlerische Tätigkeit, das kreative Arbeiten, das Ausleben von Kunst und Hobby, ja die vielseitige persönliche Verwirklichung. Aber was daran ist eigentlich noch ein Traum, wenn man die schlechten Honorare, Prekariat und ziemlich sichere Altersarmut erst einmal davon abzieht. Dem entgegengesetzt ist der Broterwerb, der für Stabilität, finanzielle Gewissheit, aber auch monotone Langeweile steht. Wer sich gegen die Kunst und für die Sicherheit entscheidet, wird immer irgendwie als Loser wahrgenommen, der von der natürlichen Auslese des Betriebs zermalmt wurde oder eben die Zähne für die Kunst nicht fest genug zusammenbeißen konnte.
Ich frage mich, woher kommt eigentlich diese landläufig akzeptierte Meinung, dass Brotjobs notwendiges Übel sind, welches in Kauf genommen werden muss, um die Liebe zur Kunst und deren pathologisch unterfinanzierte Ausübung wirtschaftlich aushalten zu können. Eine notgedrungene Quersubvention, mit der einen Arbeit eine andere zu finanzieren. Ich soll brennen für die Kunst, ich soll sie spüren mit jeder Faser meines Wesens, ich soll ihr alles opfern, mein ganzes Leben lang. Ich soll Friedrike Mayröcker sein. Ich soll bis ins hohe Alter produktiv sein, notgedrungen zwar, aber mit vollem Herzen, was ich immer wieder in Interviews versichere. Ich soll mit verträumtem Blick dankbar lächeln, dass ich durch meine doppelte Arbeit Teil eines Literaturbetriebs sein darf, den ich ebenso verträumt-entrückt lächelnd so hinnehmen soll. Ich soll das Künstlerinnenleben akzeptieren und mich nicht beschweren, denn ich soll froh sein, überhaupt dabei sein zu dürfen: als Künstlerin, als Frau, als Mensch mit Migrationshintergrund. Ich habe mir das schließlich aus freiem Willen ausgesucht.
»Lebt als freie Autorin in Wien« steht auch auf vielen Buchrücken in den Biografien. Aber was genau ist mit »frei« gemeint? Frei, vom Schreiben zu leben? Wer kann das? Frei, einen weiteren Beruf auszuüben? Ja, genau das ist es bei den meisten, fast allen. Künstlerisch tätige Menschen, die nicht von Erbe oder finanziell starken PartnerInnen/Familien gestützt werden, sind auf Brotberufe angewiesen. Brotberufe, über die man im Literaturbetrieb auch untereinander oft schweigt aus Verlegenheit, außer sie sind »exotisch« genug, um in teils perversester Form zur Vermarktung in der Literatur herzuhalten.
Ich denke an Katja Ostkamp, die als Fußpflegerin tätig war und darüber einen Erzählband verfasste. Gerade die Schere zwischen ernsthafter Literatur und banaler Körperlichkeit von Zehen und Fußsohlen reizt das Feuilleton und die Leserschaft und verhalf dem Band zum Bestsellerstatus. Ich denke an Verleger und Theatermacher Dinçer Güçyeter, der nebenberuflich als Gabelstapler arbeitet und von Medien Porträtfoto-Anfragen im Blaumann und auf dem Flurförderzeug bekommt. Die Grenzen verschwimmen.
Work-Write-Balance also, bei der beide Waagschalen gleich gut (oder schlecht) gefüllt sind? Nein, denn auch hier schlägt die allgemeine Meinung wieder zu: Es brauche den banalen (!) Brotberuf, um das Schreiben zu finanzieren. Dass dieser Brotberuf banal – oder anders formuliert: nicht angesehen, schlecht bezahlt oder wenig komplex – zu sein hat, um dem Traumjob Schreiben nichts an seiner unendlichen Größe wegzunehmen, ist ein Klischee, das oftmals unhinterfragt gelebt zu werden scheint. In anderen Worten: Wer leidet, der leistet. Es ist beachtlich, dass in einer Welt, die von Kunst und Content lebt, jene Menschen, die genau das produzieren und die Welt unterhalten, bis auf wenige Ausnahmen nicht davon leben können und das allgemein als akzeptabel gesehen wird.
Dies alles und mehr fällt mir stark auf, seit ich mich diesem Narrativ verweigere.
Es sind Irritationsmomente, wenn ich sage, dass die Kunst zweite Geige bei mir ist, das etwas weniger geliebte Stiefkind oder jedenfalls etwas, das ich eher aufgeben würde als meine Corporate-Tätigkeit, die weder banal noch bloßes Geldverdienen für mich ist.
Das romantisierte, idealisierte Bild des/der SchriftstellerIn sieht es aber nicht vor, dass der Brotberuf eine positive Rolle spielt, das passt nicht zu diesem Hohelied. Man hat die Kunst immer mehr zu lieben, man hat immer alles der Kunst zu opfern. Und das hat man gefälligst zu sagen, zu denken, ständig zu wiederholen - DANKE LITERATURMARKT, dass du mich mitspielen lässt, für ein Geld, von dem ich meine Familie nicht ernähren kann. Danke für unbezahlte Sichtbarkeit, danke für die gut-gemeinte Erwähnung, danke für Ihren Kauf eines Buchs bei Amazon, danke für 9 bis 12% Beteiligung am Netto-Ladenverkaufspreis.
Die Work-Write-Balance ist ein Begriff, den es nicht gibt. Denn er ist ein Oxymoron, noch viel mehr ein Paradoxon: Es gibt keine Balance zwischen Brotberuf und Schreiben. Es gibt in meiner Erfahrung keine Ausgeglichenheit zwischen diesen Lebenswelten, zumindest keine gesunde. Dinge wie Mental Health, finanzielle Stabilität, Familienplanung oder Altersvorsorge lassen sich schwer im Zuge einer KünstlerInnenkarriere realisieren. In langer Tradition helfen sich die KünstlerInnen auf eigene Kosten selbst. Andererseits bleiben neben einem Nine-to-five-Brotberuf Dinge wie Groß-Karriere im Literaturbetrieb, regelmäßige Publikationstätigkeit, wochenlange Residencies im In- und Ausland oder langwierige Lesereisen schwer bis gar nicht umsetzbar.
So wie sich das alle im Literaturbetrieb auszumalen scheinen, ist es normal, dass das Leben aus Work und Write besteht. Mit zwei Jobs gibt es immer was zu arbeiten und ein stetes Gefühl der Unzulänglichkeit. Ich fange hier am besten nicht von Care-Arbeit und anderen unsichtbaren Tätigkeiten an, die zum Leben, oder anders: dem offenbar in einer Schreibexistenz auszusparenden Teil, dazugehören. Nie kann man sich genug mit dem einen beschäftigen, immer wartet schon das andere.
Um die Mär des Traumberufs Schreiben zu entzaubern, braucht es eine ehrliche und transparente Diskussion der Produktionsbedingungen, es braucht die Enttabuisierung. Die Arbeits- und Lebenssituation von Autorinnen und Autoren war bereits vor Corona oft prekär und von beruflicher Mehrgleisigkeit geprägt. Die Teilnahme am Literaturbetrieb muss man sich leisten können – auch wenn es immer heißt, dass man es eben genug wollen muss. Was immer das heißen soll in Anbetracht von Inflation, Weltgeschehen oder der eigenen psychischen und physischen Gesundheit. Für die, die schreiben, entmystifiziert sich der SchriftstellerInnenberuf früher oder später von selbst. Denn der Beruf und seine Ausübung sind selten romantisch und die Bedingungen eigentlich nie ideal. Umso wichtiger ist es, durch Offenheit und Wertschätzung die Lage auch für alle anderen sichtbar zu machen. Es wäre an der Zeit, sehr viele Praxen und Konventionen des Literaturbetriebs zu überdenken und neu zu gestalten. Es braucht neben einer adäquaten Vergütung auch Produktions- und Unterstützungsmöglichkeiten, die nicht nur finanziell neue Räume schaffen, in die Menschen diverser Hintergründe und Lebensrealitäten eintreten können. Es braucht mehr Vereinbarkeit von Arbeits- und Alltagsleben der AutorInnen, wenn man so will: eine echte, ernst gemeinte Work-Write-Balance, die nicht nur ein Codewort für von der Gesellschaft aufoktroyierte Selbstausbeutung ist. Es braucht Verständnis und Sichtbarkeit der Wechselwirkungen. Und es braucht Wertschätzung: Jemand, der sich freiwillig dafür entscheidet, mehreren Tätigkeiten nachzugehen, ist wohl alles andere als ein Loser.
Text: © Didi Drobna