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StreitBar 2/3: Schreibe, lebe, arbeite
Schreibe, lebe, arbeite
von Cornelia Travnicek
Erst kürzlich äußerte sich wieder einmal eine Veranstalterin bei einer meiner Lesungen überrascht, als ich anmerkte, ich müsste mich noch kurz frisch machen, denn ich käme eben direkt aus dem Büro. Ich sagte absichtlich »aus dem Büro« und nicht »aus der Arbeit«, denn natürlich war auch die Lesung für mich »Arbeit«, jedenfalls war die Dame für einen Moment verwirrt und stellte sich kurz vielleicht sogar ein eigenes Schreib-Büro vor – ein Luxus, von dem ich immer noch nicht weiß, wie manche Kolleg:innen ihn finanzieren – bis ich ihr erklärte, dass ich ja auch noch einen anderen Job hätte. Sie schüttelte überrascht bis erheitert den Kopf und meinte, sie hätte gedacht, ich als Schriftstellerin würde meine Zeit rein damit verbringen, mir »schöne Geschichten auszudenken«.
Einmal tatsächlich über einen längeren Zeitraum nur Schriftstellerin zu sein – das habe ich noch nie ernsthaft in Erwägung gezogen.
Manchmal lasse ich bei Schulveranstaltungen die Schüler:innen schätzen, wie viel die Autorin an einem Buchverkauf verdient. Meistens sind die Schätzungen anfangs eklatant zu hoch, aber nachdem mich die Jugendlichen ob ihrer positiv-naiven Antworten amüsiert sehen, schnell auf realistischerem Niveau. Am Ende erkläre ich: Gehen wir von einem ziemlich guten Fall aus, einem Hardcover zum Ladenpreis von 22 Euro zum Beispiel, einem üblichen Autor:innenanteil von 10% am Nettoladensverkaufspreis (der in diesem Beispiel und nach dem aktuellen MwSt.-Satz von 10% auf Bücher nun bei 20 Euro liegen würde), so verdient der/die Autor:in pro Buch 2 Euro. 2 Euro - vor Steuern und Sozialversicherung. Ich lasse die Jugendlichen überschlagsmäßig ausrechnen, wie viele Bücher man jährlich verkaufen müsste, um in etwa den Durchschnittsnettolohn einer Supermarktkassierer:in zu erreichen. Manchmal scheitert dieses Beispiel daran, dass die Jugendlichen nicht wissen, wie viel eine Supermarktkassierer:in verdient. Das könnte einerseits daran liegen, dass ich gerade an einem humanistischen Gymnasium vorlese, und in meinem Publikum darum eher Arztsöhne sitzen, es kann aber auch daran liegen, dass die Schüler:innen aus einem Haushalt kommen, in dem man einfach nicht über Geld spricht, aus unterschiedlichen Gründen. Und derer gibt es viele in Österreich, und das ist ein Problem: Es ist bewiesen, dass die Reichen glauben, sie wären sehr viel ärmer und die Armen denken, sie wären wesentlich reicher, als sie sind. Weil sie kein Gespür füreinander haben, beide Gruppen, kein Gespür für die Relationen, und weil man sich selbst natürlich lieber als das sieht, was man gerne wäre, beziehungsweise das herabspielt, was die anderen nicht wollen, das man ist. Aber darum soll es hier nur implizit gehen.
Ich mache gerne Witze in Bezug auf die angemessene Bezahlung von Schriftstellerinnen. Einmal habe ich auf Facebook geschrieben, meine liebste Textsorte wären Honorarnoten. Statt der schon erwarteten Empörung erntete dieses Posting lachende Zustimmung.
Als sich 2014 Florian Kessler, Sohn einer Gymnasiallehrerin und selbst Absolvent einer der großen deutschen Schreibschulen, darüber beschwerte, dass Literatur und hier im Speziellen die Literatur an Literaturinstituten hauptsächlich von den von mir vorhin bereits referenzierten »Arztsöhnen« produziert würde, musste ich mich nicht mitgemeint fühlen. Meine Mutter ist Krankenschwester, aber es versteht sich, dass Kessler mit seiner Aussage nicht jegliches Medizinpersonal und dessen Nachwuchs im Sinn hatte. Was Kessler wohl meinte, war, dass es ein gewisses Privileg erfordert, sich auf diese Art und Weise dem Schreiben zu widmen, also den langen Gang durch die Institutionen anzutreten, und dass jenes dazu erforderliche Privileg sich in den meisten Fällen in Form wohlhabender und akademisch gebildeter Eltern manifestiert.
Von Zeit zu Zeit fragt nach Lesungen jemand aus dem Publikum: »Und? Kann man denn davon leben?« Mit davon meinen die Fragenden: Vom Schreiben. Ich antworte jedes Mal: »Das kommt darauf an, wie Sie leben wollen.«
Die Frage ist so vage wie klar, und das darin verwendete Wörtchen denn impliziert, dass die Fragenden es selbst zwar nicht wirklich glauben, aber dass sie trotzdem fragen, bedeutet, dass sie es gerne glauben würden. Was bedeutet es, zu leben? Sprechen wir vom Überleben, sprechen wir von Nahrung, Heizung, Wintermantel? Sprechen wir von einem WG-Zimmer, sprechen wir davon, von Aufenthaltsstipendium zu Aufenthaltsstipendium zu springen? Oder sprechen wir davon, im Supermarkt nicht auf den Preis schauen zu müssen, am Ende des Monats immer Geld am Konto übrig zu haben, seine Mehrzimmerwohnung getrost überheizen zu können? Wo hört das Überleben auf, wo fängt das Leben an? An der Armutsgrenze?
Das Durchschnittsjahresgehalt einer Schriftstellerin ändert sich mit jedem Jahr, es ist niemals voraussagbar, es steigt nicht konstant an, es gibt kein Grundgehalt mit Prämien. Es gibt die Jahre mit neuen Büchern, die sichtbar auf den Tischen der größeren Buchhandlungen ausliegen und sich vielleicht dementsprechend verkaufen oder auch nicht, und die ohne, es gibt die Jahre mit vielen Lesungsanfragen und die mit wenigen, es gibt die Jahre mit Preis- und Stipendiensegen und es gibt die vielen, in denen man vergeblich darauf hofft. Es gibt Texte, die potentiell vielleicht mehr verkaufen, und es gibt solche, von denen man von vornherein weiß, dass sie sich niemals rechnen.
Wenn mich also jemand fragt: »Kann man denn davon leben?«, könnte ich auch sagen: »Dieses Jahr schon, nächstes wahrscheinlich nicht.«
Die Armutsgrenze liegt in Österreich derzeit bei 1.317 Euro monatlichem Nettoäquivalenzeinkommen für einen 1-Personen Haushalt, das sind in Summe 15.804 Euro jährlich. Für zwei Erwachsene plus ein Kind liegt sie bei 2.469 Euro monatlich (Statista 2022), das sind rund 30.000 Euro im Jahr.
Sollte ich, wenn mich jemand fragt: »Kann man denn davon leben?« also antworten: »Ich vielleicht schon, mein Kind sicher nicht mehr«?
An die 16.000 Euro im Jahr, darunter ist man arm. Netto wohlgemerkt. Wie steht es im Vergleich dazu um das Durchschnittseinkommen von Schriftstellerinnen? Tatsächlich beträgt das persönliche Medianeinkommen von Literaturschaffenden nach einer Sozialstudie in Österreich aus dem Jahr 2018 ca. 15.000 Euro. Medianeinkommen bedeutet, genau die eine Hälfte der Personen, die an der Befragung teilnahmen, verdiente weniger, die andere Hälfte mehr. Man könnte sagen: Lebten sie allein, so lebte die Hälfte der Literaturschaffenden in Österreich unter der Armutsgrenze.
Aber die eben von mir genannten Zahlen sind ohnehin eine (bewusste) Täuschung. Was Sie Ihnen nicht verraten haben, ist: Kaum eine:r der Schriftsteller:innen, die an der Umfrage teilgenommen haben, lebten rein von der Literatur. Betrachtet man nämlich ausschließlich künstlerische und sonstige kulturvermittelnde Tätigkeiten, verdienten österreichische Schriftsteller:innen nach Selbstauskunft jährlich im Durchschnitt nur 7.686 Euro, bei einem Medianwert von gerade einmal 3.750 Euro. Aber wen wundert das, wenn 3000 verkaufte Buch-Exemplare in Österreich schon einen kleinen Erfolg darstellen.
»Kann man denn davon leben?« Einige von uns offenbar. Andere definitiv nicht. Und versucht man davon zu leben, so muss man es auch damit – mit einer ständigen Unsicherheit nämlich.
Hier kommt der von Kessler angesprochene Umstand des familiären Hintergrundes von Literaturschaffenden ins Spiel. Denn ob man in Unsicherheit leben kann, das ist zwar zu einem gewissen Teil vom jeweiligen Charakter abhängig, zu einem wahrscheinlich größeren Teil jedoch von der Sozialisation. Kommt man aus einem Haushalt, in dem immer schon ungewollt finanzielle Unsicherheit herrschte, oder in erster Generation gerade eben nicht mehr, hat so eine Unsicherheit nichts mit Freiheit zu tun. Shabby ist nur solange chic, solange man es rein aus Überzeugung ist.
Also: Neben dem Schreiben noch etwas Anderes zu arbeiten oder (wohl eher) neben einer Erwerbsarbeit zu Schreiben, das ist keine Seltenheit, sondern die Regel. Was das Haupt- und was das Neben- ist, nicht nur aus finanzieller Hinsicht, ob beide Tätigkeiten eine friedliche Koexistenz führen, oder ob man sich eine Änderung der Situation wünscht, ist ebenfalls wieder eine Frage der persönlichen Perspektive, aber auch ganz anderer Privilegien. Des Privilegs, einen gut bezahlten Job zu haben, der somit auch mit Einsatz weniger Stunden ein annehmbares Einkommen einbringt, zum Beispiel. Des Privilegs, einen Beruf auszuüben, der in dieser Ausübung flexibel genug ist, der schriftstellerischen Tätigkeit genug Freiraum zu geben. Des Privilegs, einen Job zu haben, der einem Freude macht. Und an Kinder ist dabei noch gar nicht gedacht.
Dass so manche an Schrifsteller:innen mit der Erwartungshaltung herantreten, dass diese ihr Leben ausschließlich dem Schreiben widmen (sollten), hat verschiedene Hintergründe. Erstens, der Idee des Schriftstellers als eines charmant-chaotischen Tagträumers, der eine gewisse Unfähigkeit mitbringt, einer geregelten Lohnarbeit nachzugehen und dessen leicht exaltiertes Wesen nicht nach weltlichen Besitztümern strebt, der also weder arbeiten will noch scheinbar muss (wobei hier fast immer übersehen wird, dass dieses »nicht arbeiten müssen« der Schreibenden solchen Typs in den meisten Fällen im Hintergrund vom Geld anderer gestützt wird, sei es eben von dem der Eltern oder dem einer Partner:in, wobei hier die weibliche Form tatsächliche keine Ausnahme darstellt), und der Idee des Schreibens als einer höheren Berufung, als eine dermaßen hell in der Seele brennenden Notwendigkeit, dass der/die Schreibende gar nicht umhin kann, es ohnehin zu tun, bezahlt oder unbezahlt, aber die Gesellschaft ebenso wenig umhin kann, dieses Leuchtfeuer eventuell doch zu erspähen und dementsprechend anzuerkennen – wobei diese Vorstellung direkt in das zweite existierende, in gewisser Hinsicht dem ersten diametral entgegenstehende romantische Missverständnis übergeht: Dass der Markt jene, die ein gewisses Talent mitbringen und sich nur genug bemühen, auch gerecht entlohnen wird. Dieses führt wiederum im besten Fall zu der Annahme, dass die mageren Jahre der Literaturproduzentinnen die sogenannten Lehrjahre wären, eine temporäre Unannehmlichkeit auf dem Weg zum Erfolg, mit dem inhärenten Trost der ständigen Aussicht auf denselben, und im schlechtesten Fall zum trügerischen Umkehrschluss, dass eine für längere Zeit finanziell unerfolgreiche Schriftstellerin eine schlechte sein muss. Im ersten Fall ist die Situation hinzunehmen wie ein Initiationsritus, im zweiten hat man kein Recht sich zu beschweren und sollte die Sache vielleicht besser überhaupt einstellen. Stellt sich hingegen der finanzielle Erfolg dann trotzdem irgendwann zu einem gewissen Grad ein, ja erdreistet man sich sogar, ihn auf eine gewisse Weise nicht nur herbeizusehnen, sondern aktiv herbeizuarbeiten, kann einer das allerdings schnell den Verdacht einbringen, man stelle den Kunstanspruch zu Gunsten der Verwertbarkeit hintan.
Ich mache seit über zwanzig Jahren mit Freude Literatur. Ich habe noch nie eine offizielle Jobbeschreibung gelesen, aber ich nehme an, die Lehrjahre wären jetzt langsam vorbei. An zu wenig Talent meinerseits zu glauben, weigere ich mich vehement, und die Sache einzustellen ist auch keine Option, denn dazu brennt die Notwendigkeit in mir doch zu hell – aber das verraten Sie bitte niemandem, der mich dafür bezahlt. Meine Unfähigkeit einem geregelten Job nachzugehen, wird bei weitem von meinem Unwillen in ständiger finanzieller Unsicherheit zu leben übertroffen.
In Österreich wird viel für die Literatur, viel für die Literat:innen getan, in Form von Subventionen, Veranstaltungen, mit Arbeits- und Projektstipendien. Aber wer kündigt seinen anderen Job für drei, für sechs, für zwölf Monate – nur um einen Großteil der freien Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Suche nach einem neuen zu verbringen?
Ja, ich schreibe. Ja, ich arbeite. Manchmal lebe ich auch noch ein bisschen. Ja, ich möchte für meine literarische Tätigkeit angemessen bezahlt werden, das bedeutet jedoch keineswegs, dass ich das Künstlerische in meiner Literatur dem Markt unterordnen möchte – ganz im Gegenteil ist es so, dass ich genau deshalb umso vehementer für den Wert der Kunst eintrete. Für den meiner eigenen, aber auch für den anderer.
Und ja, manchmal, wenn die Schreibarbeit wieder einmal mit der anderen Arbeit kollidiert und alles zusammen mit dem Leben, träume auch ich heimlich davon, dass sich diese gefühlte Sicherheit einstellen möge, die es mir erlaubte, es einmal auszuprobieren, dieses »Nur«-Schriftstellerin-sein. Ich habe da so meine romantischen Vorstellungen.
Text: © Cornelia Travnicek