der hammer 121 / 2022
Barbara Frischmuth
Barbara Frischmuth
Juni 2022
Seit über 50 Jahren arbeitet Barbara Frischmuth an einem vielschichtigen Erzählwerk, das sie zu einer der wichtigsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur gemacht hat. Ihre Romane sind geprägt von Begegnungen verschiedener Kulturen und von starken Frauenfiguren, die mit ihren Lebenswelten und ihrem Denken patriarchale Sichtweisen aufbrechen. Ein drei tägiges Symposium hat Ende April 2022 einen Aspekt im Werk von Barbara Frischmuth in den Mittelpunkt gerückt, der allzu oft übersehen wird: das Erzählen für und über Kinder. Beiträge von Autor*innen und Wissenschaftler*innen haben Brücken ge schlagen nicht nur zwischen Erzählen für Kinder und Erzählen für Erwachsene, sondern auch zwischen unterschiedlichen Rezeptionsweisen. Das Symposium wurde von der Alten Schmiede in Zusammenarbeit mit Anna Babka, Silvana Cimenti, Peter Clar und Heidi Lexe konzipiert.
Zwar spielen Kinder und Kindheitswelten schon in der Sternwieser-Trilogie (1976–1979) eine große Rolle, doch hielt Barbara Frischmuth andererseits ihre zur selben Zeit publizierte Amoralische Kinderklapper (1969) nicht für ein Kinderbuch. Darauf wies Ernst Seibert, Literaturwissenschaftler und Begründer der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteratur-Forschung, auch mit Blick auf die zahlreichen kinderliterarischen Anspielungen hin: Sie beginnen mit dem Titel, der mit dem 1794 erschienenen Belehrungsbuch Moralische Kinderklapper von Johann Karl Musäus kontrastiert. Seibert spricht von »Kinderbuch-Tarnung« und einem »Antikinderroman«, in dem »die Gefahren der Welt, die auf das Kind herniedergeredet werden und vor denen das Kind bewahrt werden soll, in diesem Herniederreden sich selbst parodieren, wobei ihre Funktionalisierung als Erziehungsmittel erkennbar wird«. In seinem Gang durch Frischmuths Werk zeigte Seibert den hohen Grad an Literarizität ihrer Kinderbücher und das Absurde an der Trennung zwischen ›Kinderliteratur‹ und ›Allgemeinliteratur‹.
Gegen diese Trennung wurde während des Frischmuth- Sym posiums wiederholt argumentiert, u. a. in dem hier nachzulesenden, von Frischmuths »Als ob«-Sätzen inspirierten Text der Autorin Elisabeth Steinkellner. Literarische Reaktionen unterschiedlicher zeitgenössischer Autor*innen auf Frischmuths ›vermeintliche Kinderbücher‹ bildeten einen roten Faden durch das Symposium und stellten die Inspiration durch Frischmuths Sprachstrategien und Bildwelten eindrücklich unter Beweis. Peter Clar und Heinz Janisch haben in Gedichten auf Frischmuth-Sätze reagiert (nachzulesen auf den folgenden Seiten), Andrea Grill hat eine Gutenachtgeschichte mit Fischotter, Maus und Kröte erzählt, in der sie Frischmuths Gutenachtgeschichte für Maria Carolina mit den Augen der Naturwissenschaftlerin betrachtet, zu eigenen Erlebnissen in Bezug setzt und dazu noch einen Bogen zu den Brüdern Grimm spannt.
Stefan Slupetzky und Elias Hirschl ließen sich ebenfalls von Barbara Frischmuth inspirieren, und Verena Stauffer hat mit ihrer Erzählung Die Plusterer Frischmuths Der Pluderich fortgesetzt. Darin gehen die Plusterer in der Übertreibung ihrer Geschichten so weit, dass sie sich schlussendlich sogar nach ihren Geschichten verhalten. Und ein Reiseführer, der das Denkmal des Pluderers erklären will, erzählt sich selbst zu diesem Denkmal – so zumindest sieht er es, bis noch Wundersameres passiert.
Neben die künstlerischen Beiträge stellten sich unterschiedliche Aspekte einer analytischen Herangehensweise an Frischmuth-Texte in diesem Symposium, das selbst einen Frischmuth-Satz zum Titel hatte »Und die Wolken fallen fast aus den Wolken«. Solch einen Frischmuth-Satz nahm auch Lena Brandauer zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen über die Kind-Erwachsenen-Beziehungen bei Frischmuth – nachzulesen in Auszügen in diesem Hammer. Silvana Cimenti, Frischmuth- Forscherin der ersten Stunde, legte eine inspirierte Analyse über »Fantastische Erweiterungen/Übertragungen realer Räume in Barbara Frischmuths Kinderliteratur« vor und entfaltete »die Neuentdeckung der Welt durch einen Kürbiskern« in Frischmuths Die Geschichte vom Stainzer Kürbiskern. Das zentrale Thema der Konstruktion von Geschlecht analysierte Anna Babka an Hand von Ida – und Ob. Sie ging von dem Frischmuth-Satz »Ich möchte Rennfahrerin werden.« aus und zeigt, wie die Hauptfigur des Buches in eine Konstellation, »beschreibbar als ›Heldenreise, Initiation, Abenteuer‹ gestellt wird, die über einen sehr langen Zeitraum männlich besetzt war und die damit in Ida – und Ob eine starre Genderordnung doch grundlegend über den Haufen wirft«. Nicht weniger zentral ist das Thema von Claudia Sackl, die Konstruktion und Dekonstruktion des Anderen und Eigenen bei Barbara Frischmuth – Teile davon sind in diesem Hammer nachzulesen.
Das Symposium vermittelte überdies besondere Hör- und Seh-Erlebnisse. So wurde etwa die künstlerische Gestaltung längst vergriffener Bücher anschaulich vor Augen geführt und wurden ausgewählte Beispiele über das Kindsein in Frischmuths Hörspielen akustisch vorgestellt. Annalena Stabauer und Andreas Jungwirth präsentierten und kommentierten unter dem Titel »Also ruhig bist!« Ausschnitte aus den 18 Frischmuth-Originalhörspielen, die von deutschsprachigen Sendern zwischen 1971 und 2005, also im Lauf von 34 Jahren, produziert wurden.
»Und die Wolken fallen fast aus den Wolken« – vielleicht kann man in diesen Satz auch das Staunen über die vielfältigen literarischen und theoretischen Zugänge zum Werk von Barbara Frischmuth kleiden. Sie haben neue Blicke auf ihren literarischen Kosmos und seine thematische und sprachliche Vielschichtigkeit geworfen.
Cornelius Hell