der hammer 132 / 2024
Schreiben über Sucht
Schreiben über Sucht
Dezember 2024
»Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schreiben«
(Elsa, Teilnehmerin einer Schreibwerkstatt für suchtkranke Menschen)
Sucht und Abhängigkeit sind Themen, die aus der Literatur nicht wegzudenken sind seien sie didaktisch-präventiv aufbereitet wie im Klassiker der Jugendliteratur Wir Kinder vom Bahnhof Zoo über Drogenabhängigkeit, seien sie (selbst)analytisch motiviert wie in Fjodor Dostojewskis Der Spieler oder Jack Londons John Barleycorn über Alkoholismus. Wie gesellschaftlicher Wandel sich in der literarischen Themenlage spiegelt, zeigt auch der Blick in die Gegenwartsliteratur, etwa auf die zahlreichen Texte von Autorinnen, die Essstörungen verhandeln, von Bettina Galvagnis Melancholia (1997) und Helene Flöss’ Dürre Jahre (1998) bis zu Barbara Riegers Friss oder Stirb (2020) und Rhea Krčmářovás Monstrosa (2023).
Barbara Rieger hat für diesen Hammer einen Essay verfasst, in dem sie sich entlang persönlicher Lektüren zum Thema Suchtkrankheit mit Suchtpotenzialen im Alltag befasst, mit der schmalen Grenze zwischen Gewohnheit und Sucht. Schlussendlich berührt sie auch die Notwendigkeit des Schreibens für Schriftsteller*innen: »Eigentlich kann ich nur leben, wenn ich schreibe«, so notiert Marlen Haushofer am 27. Jänner 1967 in ihr Tagebuch.
Barbara Riegers Essay begleitet Texte ein, die in Schreibwerkstätten für
Suchtkranke entstanden sind: Seit vielen Jahren leitet Renata Zuniga im
Rahmen der Rehabilitationsprogramme des Vereins Grüner Kreis
Schreibwerkstätten für Menschen in Drogentherapie. Vergangenen Mai fand
in einer Therapieeinrichtung des Grünen Kreis im steirischen Johnsdorf
wieder ein solcher Workshop statt, am 18. Juni lasen die
Teilnehmer*innen begleitet von Renata Zuniga in der Alten Schmiede
öffentlich aus den entstandenen Texten. Renata Zunigas Zusammenstellung,
die Sie in dieser Ausgabe des Hammer lesen, zeigt eindrucksvoll, wie
Schreiben, das sich Krisenzuständen widmet, zugleich über diese
hinausweist. Über die Arbeit in den Workshops schreibt sie:
»Das
eigene Schreiben ergibt sich aus kreativer Spielerei meist ganz von
selbst. Was immer gut klappt, ist zum Beispiel: Wir einigen uns auf ein
gemeinsames Gefühl und dann schreibt jede*r auf ein und dasselbe Blatt
einen Satz, stülpt das Papier so um, dass der oder die Nächste nicht
sieht, was vorher bereits geschrieben worden ist. Am Ende passt es fast
immer genial zusammen. Und wenn nicht, dann klingt es genial absurd. Für
mich sind die schönsten Momente, wenn ich ehemalige Teilnehmer*innen
Jahre später wieder treffe und diese mir sagen, dass ihnen unser
Workshop gefallen oder sogar bei ihrer Selbstfindung geholfen hat. Und
das kommt immer wieder vor!«