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literatur für schüler*innen – Rückblick 2020_21

Blog, 8. September 2021
Über Superheldinnen, jugendliche Straftäter, lyrische Pflanzen und Tiere, sowie Kindheit im Krieg sprachen die Schüler*innen in dieser Saison mit Barbi Marković, Birgit Birnbacher, Andrea Grill und Renate Welsh.

Unsere Lese- und Gesprächsreihe für Schulgruppen fand im letzten Jahr als Video-Format statt. Bei vier Veranstaltungsterminen trug je eine Autorin aus einem von den Schüler*innen gewünschten Buch vor. Im Anschluss besprach sie dieses mit Reihenmoderatorin Lena Brandauer entlang von im Vorfeld von den Schüler*innen vorbereiteten Fragen. Trotz der ungewohnten Situation des Homeschooling konnten die Schüler*innen sich so intensiv mit literarischen Werken auseinandersetzen und ihre Lektüreerfahrungen mit den Autorinnen diskutieren.

Den Auftakt der Reihe machte die aus Belgrad stammende und in Wien lebende Schriftstellerin Barbi Marković mit einer Lesung aus ihrem experimentell-sozialkritischen Großstadtroman Superheldinnen (2016). Dessen drei Protagonistinnen sind zwar ebenso wie viele klassische Superheld*innen-Figuren mit paranormalen Fähigkeiten ausgestattet, jedoch anders als diese mit nur unzureichenden finanziellen Mitteln und sozialen Verbindungen. Ihre magischen Kräfte nutzen sie deshalb nicht nur zur Verbesserung der Lebensumstände ihrer Mitmenschen, sondern schließlich auch, um einen Ausweg aus ihrer eigenen prekären Lage zu finden. Neben dem Superheld*innen-Thema stieß bei den Schüler*innen vor allem die Inszenierung des großstädtischen Ambientes auf Interesse: Durch die Montage von Schriftzügen aus dem öffentlichen Raum, wie Plakaten und Werbeaufschriften, evoziert der Text die Stadt als Ort permanenter Reizüberflutung und unablässigen Appels zum Konsum, was die Romanfiguren zwar analysieren und ironisch kommentieren, dem sie sich aber dennoch nicht entziehen können. Formal birgt die Montagetechnik Reminiszenzen zur Stadtdarstellung in Comics wie auch in Alfred Döblins Klassiker Berlin Alexanderplatz (1929).

Ihren Fokus auf Figuren in schwierigen gesellschaftlichen Umständen und den klaren Blick für soziale Problematiken teilt Marković mit der Salzburger Schriftstellerin Birgit Birnbacher. Ihr Roman Ich an meiner Seite (2020) stand im Mittelpunkt der zweiten Lesung des Schuljahres. In reduzierter, gleichzeitig aber sehr genauer Sprache erzählt er von Haft und Resozialisierung eines jungen Straftäters, der wegen Betrugs 26 Monate im Gefängnis verbracht hat. Mittels eingeschobener Rückblenden wird von seinem Aufwachsen berichtet – ebenso wie von jenen Ereignissen, die dazu führten, dass er straffällig wurde. Die Schüler*innen beschäftigte bei ihrer Lektüre vor allem die einfühlsame und fundierte Figurenentwicklung und die ausführliche Recherche Birnbachers, die Soziologie studierte und lange Zeit als Sozialarbeiterin tätig war. Auch der Aufbau und die mehrperspektivische Erzählweise des Romans wurden eingehend besprochen.

Mit dem Lyrikband Safari, innere Wildnis (2014) war die Autorin Andrea Grill zu Gast beim dritten Lesungstermin des Jahres. Thema der durchwegs in freien Rhythmen gehaltenen Gedichtsammlung ist die Erforschung der Empfindungen, Gedanken, Sehnsüchte des lyrischen Ich – im Austausch mit der vielfältigen und lebendigen Welt, die dieses Ich unmittelbar umgibt. Viele der Gedichte bedienen sich einer Bildsprache aus Flora und Fauna und erscheinen als sprachliche Vergegenwärtigung sinnlich intensiv empfundener Augenblicke.
Neben ihrer schriftstellerischen Profession arbeitet Grill als Übersetzerin und war lange Jahre als Biologin tätig. Ebenso wie bei Birgit Birnbacher fließen Kenntnisse und Erfahrungen aus ihren weiteren Berufsfeldern in ihr literarisches Arbeiten mit ein. Die Schüler*innen gingen in ihren Gesprächsfragen auf die zahlreichen Termini aus Fremd- und Fachsprachen ein, die in die Texte eingeflochten sind. Unter anderem wollten sie von der Autorin wissen, für welche Themen sie einzelne Sprachen einsetzt und inwiefern ihre wissenschaftliche Prägung Eingang in ihre Poesie findet.

Die abschließende Lesung des Schuljahres fokussierte den Erzählband Kieselsteine (2019) von Renate Welsh. Wie auch bei Grill sind Selbstwahrnehmung, das Erinnern an und das sprachliche Festhalten von Augenblicken darin wichtige Motive. Im Buch tritt die Autorin mit ihrem frühkindlichen Ich in Dialog und verwebt ihre teils detaillierten, teils fragmentarischen Erinnerungen zu vierzehn Geschichten. Diese sind in den 1930er- und 1940er-Jahren in Wien und Bad Aussee situiert und setzen, wie Welsh im Gespräch verriet, jenen Personen aus Familie und Umfeld ein Denkmal, die ihr in dieser schwierigen Zeit Halt und Geborgenheit gaben und sie zu eigenständigem Denken anregten.
Vor allem die Weltsicht eines Kindes während des Krieges und in der Nachkriegszeit bot Gesprächsanlass und beschäftigte die Schüler*innen: Wie nimmt ein Kind in dieser Zeit sein Umfeld wahr, wie sieht es politische und soziale Missstände? Und wie geht Renate Welsh in der Rückschau damit um?

In der kommenden Saison findet das Vorbereitungstreffen mit den Schüler*innen zur Buchauswahl am 29.9.2021 statt. Weitere Informationen finden Sie hier und erhalten Sie unter literarisches.quartier@alte-schmiede.at

Lena Brandauer