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Markus Köhle: Über Tiere in Buchtiteln und was sie mit mir machen

Blog, 23. November 2021
Am 30.11. liest Ferdinand Schmalz aus Mein Lieblingstier heißt Winter, Markus Köhle moderiert. Vorausschauend auf die Begegnung lässt Markus Köhle seine jüngsten Tiersichtungen auf literarischem Terrain Revue passieren.


»Über Tiere in Buchtiteln und was sie mit mir machen«

Eine Annäherung an Mein Lieblingstier heißt Winter von Ferdinand Schmalz

von Markus Köhle


Die Gegenwartsliteratur hat’s mit Tieren, mit Tieren in Buchtiteln, Tieren am Cover, Tieren im Text. Gut, Tiere machten sich immer schon gut in der Weltliteratur. Weiß vielleicht wer, ob am Erstausgabenoriginal von Die Verwandlung ein Käfer war? Gleich neun Käfer und ein zehnter am Buchrücken befinden sich am Cover von Tiere für Fortgeschrittene von Eva Menasse. Die Tiere halten die Erzählungen zusammen. Gleich zum Auftakt wird mit »Schmetterling, Biene, Krokodil« aufgefahren; es folgen die Erzählungen: »Raupen«, »Igel«, »Schafe«, »Opossum«, »Haie«, »Schlangen« und »Enten«. Eine Ente ist es auch, die in Mit einem Fuss draussen, dem Debütroman der Schweizerin Anaïs Meier, mit dem Helden spricht (ihr Erzählband hieß übrigens Über Berge, Menschen und insbesondere Bergschnecken). Mehr Ente in einem Buch war noch nie, aber die Ente selbst hat es nicht in den Titel, nur auf das Cover geschafft.

Tiere auf Buchcovern folgen Moden. Mal sind Vögel in Mode, mal Hunde und wohl immer Pferde. Deshalb sollen hier, bevor wir dann wirklich zu den Tieren in Buchtiteln kommen, einfach ein paar ungewöhnliche Tiertitelbilder erwähnt werden. Platz drei geht an den majestätischen schwarzen Schwan am Cover von Verena Kesslers Roman Die Gespenster von Demmin, Platz zwei an den lieblichen Kugelfisch, der Mieze Medusas Meine Fußpflegerin stellt Fragen an das Universum ziert und Platz eins geht eindeutig an den Löwen, der von einem Mann mit blauem Hemd in einer klassischen Badewanne mit Füßen shampooniert und gewaschen wird: »Mann badet einen Löwen« heißt das Bild von Attila Szücs. Weiter atmen heißt das Buch von Zsófia Bán, das dieses am Cover in den Mittelpunkt stellt. Der Trostpreis geht an stillborn und das tote Eichhörnchen am Cover von Michael Stavarič.

Und mit Stavarič lässt sich auch gut zu den Tieren im Titel (und am Cover) kommen. Terminifera ist nicht nur ein klingendes, neugierig machendes Wort. Das Wort ist auch Tier und es ist aus Australien. Chortoicetes terminifera heißt die Australische Pestheuschrecke mit vollem Namen. Der Vorname sowie die Übersetzung taugten wohl nicht zum Titel, aber ›Terminifera‹ ist toll. Triceratops von Stephan Roiss fährt eine ähnliche Schiene, dass der Saurier wörtlich übersetzt ›Dreihorngesicht‹ heißt, überrascht weniger, als dass er zur Gattung der Vogelbeckensaurier gehört. Ob es die Buchtitel Dreihorngesicht oder Vogelbeckensaurier auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hätten? Mein Lieblingstier heißt Winter war auf der Shortlist für den Österreichischen Buchpreis.

Wäre ich in der Jury gewesen, ich hätte nach der Verleihung geheult wie ein Wolf. Weil wenn Wölfe heulen, heulen sie nicht in menschlichem Sinne. Beim Anblick des Bildes vom Wolf ist ein mutiger Titel von Jörg Albrecht. Der abgebildete Wolf mit Kopfhörern aber auch außerordentlich gechillt. Wo der Wolf lauert von Ayelet Gundar-Gosehen ist eine Entdeckung und war vor wenigen Tagen in der Alten Schmiede zu erleben, Ferdinand Schmalz ist in wenigen Tagen in der Alten Schmiede zu erleben und zwar am Dienstag, den 30. November 2021, und kann im Live-Stream besucht werden.

Wäre ich in der Jury zum Österreichischen Buchpreis gewesen, ich hätte mich für Mein Lieblingstier heißt Winter stark gemacht, stark wie ein Löwe. Löwen in der Einöde von Daniel Wisser hat ja schon auf der ersten Seite so einen Satz, den man unterstriche, striche man noch in Büchern rum: »Braun fragte sich, wie lange man bei einem Kranken bleiben musste, um nicht unhöflich zu sein.« Wie wenig darf man eigentlich über ein Buch schreiben, wenn man eingangs vorgibt, über dieses schreiben zu wollen? Das beantworten wir hier nicht. Dies ist eine Annäherung an etwas, das zum Schluss kommt, und was steht am Schluss? Die Summe, das Produkt, das Ergebnis, die Lösung. Führen wir also weiter fort um schließlich dann anzukommen.

Vom Löwen zu den Katzen ist es nur ein kleiner Schritt und Wenn die Katze weg ist ist ein Roman von Kinky Friedman, Cats Cradle wiederum einer von Kurt Vonnegut und von Vonnegut ist es nur ein Katzensprung zum William Kotzwinkle, der im Erzählband Elefant rammt Eisenbahn auch Adlern (»Der Flug des Adlers«) und Tigern (»Tigerbrücke«) Erzählraum gewährt. Und wie schaut es eigentlich mit Schweinen aus? Drecksau von Irvine Welsh ist naheliegend, mehr Schwein als in Schweinerei von Marie Darrieussecq ist nirgends zu haben und dass den polnischen Autor Janusz Głowacki hierzulande leider kein Schwein kennt, ist traurig, sein Buch Die Unterhose, die Lotterie und das Schwein jedoch ist das Gegenteil von traurig. Der Krieg mit den Molchen von Karel Čapek ist sowohl traurig als auch für immer wahr und mehr als tierisch gut. Womit wir uns kurz mal in internationalen Gewässern befänden und an dieser Stelle darf natürlich Der weiße Hai von Peter Benchley nicht fehlen. »›Sie können mir nicht erzählen, dass das ein Fisch ist‹, sagte Brody. ›Es ist eher wie eines dieser Dinger, über die Filme gemacht werden. Sie wissen schon, das Ungeheuer aus der Tiefe.‹«

Und wie kommen wir aus dieser Hochseetiefe wieder raus und in heimische Gewässer? Mit Der Fisch in der Streichholzschachtel von Martin Amanshauser? Mit Wir ohne Wal von Birgit Birnbacher? Oder doch besser mit Erwin Einzinger und seinem Gedichtband Die virtuelle Forelle? Und ist die Schweiz jetzt nicht zu kurz gekommen? Doch. Ohne Koala von Lukas Bärfuss kann kein Beitrag über Tiere in Titeln der Gegenwartsliteratur auskommen. Auch Ansichten eines alten Kamels von Michael Stauffer ist unbedingter Tiertitelkanon und Franz oder warum Antilopen nebeneinander laufen von Christoph Simon natürlich auch. In dessen Planet Obrist ist ein Dachs sogar der Hauptgesprächspartner des Helden, womit wir ein neues großes Kapitel aufschlügen, das eingangs mit der sprechenden Ente schon angerissen wurde.

Aber sprechende Tiere in der Gegenwartsliteratur wären natürlich ein ganz anderes Ding und Thema, ein an sich schönes Dissertationsthema, kein Blog-und-Veranstaltungshinweis-Thema. Das geht sich für mich in diesem Leben nicht mehr aus. Wie viele Leben haben nochmal Bücherwürmer? Vielleicht weiß das Martin Fritz. Immerhin arbeitet er ja seit Jahrzehnten an einer Enzyklopädie der Tiere und hat zur Beruhigung der Fans kürzlich Die Vorbereitung der Tiere herausgebracht. Und mit der Vorbereitung der Tiere sind Lesende nicht nur auf alle Unbill des Lebens vorbereitet, sondern auch gerüstet für alle Freuden des Daseins. Mit Die Vorbereitung der Tiere lässt sich auch bestens auf Mein Lieblingstier heißt Winter vorbereiten. Denn, um es in Algorithmus-Diktion zu sagen: Wer Die Vorbereitung der Tiere mag, mag auch Mein Lieblingstier heißt Winter. Ich mag beide. Ich mag alle im Artikel genannten Bücher und habe alle, bis auf eines davon, auch gelesen. Wer errät welches, wird von mir (wenn es dann wieder möglich und erlaubt ist) auf ein Wintergetränk eingeladen.
War dieser Beitrag jetzt mehr Leserattenschnitzeljagd oder Bücherwurmragout? Und welches Gericht ist das derzeitige Literaturbetriebsgericht der Stunde? Das Rehragout. Mehr dazu von Ferdinand Schmalz am Dienstag, den 30. November 2021, im Live-Stream der Alten Schmiede.

Markus Köhle am Mittwoch, dem 17. November 2021


Anmerkung der Redaktion: Der neuerliche Lockdown betrifft zwar keine Tiere, aber Ratespielgewinne wie Wintergetränke, über deren Einlösungsmodalitäten direkt mit dem Verfasser zu verhandeln ist – die Redaktion empfiehlt: Lion’s Tail (Bourbon, Limettensaft, Angostura), Bee’s Knees (Gin, Honig, Zitronensaft) und Salty Dog (Wodka, Grapefruit).


Text & Fotos © Markus Köhle