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Vermessung von Zeit- und Vorstellungsräumen: Klaus Demus Dichtung

Blog, 27. Oktober 2020
«Ihr seid meine endlich wirklich gewordene Welt», schrieb Paul Celan an seine Wiener Freunde Klaus und Nani Demus, «ich weiß unter meinen Freunden niemand, der mir so nahe wäre wie Ihr». Klaus Demus war dem Lyriker Celan ein enger Freund und Wegbegleiter.

Am 21. September hat Susanne Ayoub in der Alten Schmiede ihren sehr persönlichen Celan-Film Antschel. Ein Filmessay über Paul Celan und seine Dichterfreundschaft mit Klaus Demus erstmals gezeigt und im Gespräch mit Johanna Öttl vorgestellt. Bei Recherche und Filmarbeit war ihr der heute 93-jährige Klaus Demus ein wichtiger Gesprächspartner und wurde so zu einer Art Erzählfigur in dem Film. 2009 ist im Suhrkamp-Verlag der eindrucksvolle und erhellende Briefwechsel zwischen Celan und dem Ehepaar Nani und Klaus Demus erschienen. Vor der Filmpremiere von Antschel in der Alten Schmiede hat Klaus Demus aus seinem eigenen lyrischen Werk gelesen – Michael Hammerschmid hat seine Lesung eingeleitet. Hier ist seine Auseinandersetzung mit Demus Lyrik nachzulesen.



Klaus Demus, Jahrgang 1927, hat mit dem Gedichtband Das schwere Land 1958 bei S. Fischer debütiert und dann Ende der 1960er Jahre seinen zweiten Gedichtband herausgebracht. Dem folgten bis zu seinen jüngsten, im Löcker-Verlag erschienenen Bänden Kosmos (2012), Schlußchoral (2014) und Postludium (2017) fast zwanzig weitere Gedichtbände.

Das Besondere an  Klaus Demus Dichtung liegt aus meiner Sicht darin, dass sie sich ihrem dreifachen Gegenstand konsequent nähert und diesem über die Jahrzehnte treu geblieben ist: Die Gedichte widmen sich der Natur, sind darin also nach Jahrzehnten nachhaltiger Naturzerstörung aktueller denn je, nachdem ja der sogenannten Naturlyrik seit den 1970er Jahren bis in die allerjüngste Vergangenheit kaum größere Aufmerksamkeit zuteilwurde. Die Natur verstehen Demus Gedichte jedoch als einen großen, über Räume und Zeiten weit hinausgreifenden Zusammenhang, und sie erweitern das Konzept Naturlyrik damit substanziell: nämlich durch die Darstellung des Kosmos in seiner konkreten und gedachten Form, nicht zuletzt als einem universellen Zusammenhang, sowie durch die Darstellung von Erdgeschichtlichem, Geologischem, also durch den Blick ins Vorzeitliche und in die Gegenwart Fortwirkende. In diesem Gebiet teils Myriaden alter prägender Kräfte entwickeln Klaus Demus Gedichte geradezu phänomenologisch beobachtend einzelne Welt- und Naturphänomene, wobei sie vor allem eine Spannung durchwirkt, nämlich die zwischen Einzelnem und Großen, vom Einen und Allem, zwischen denen sie Verhältnisse, Beziehungen ausloten.

Dabei muss man wissen, und man hört es sofort, sobald man auch nur eines dieser Gedichte hört, dass Klaus Demus Lyrik ihren Fundus an Formen und ihr Vokabular an Tönen vor allem von Friedrich Hölderlin und von den Alten, also den altgriechischen Dichtern und Denkern her bezieht. Sie sind also eine Art Erinnerung an diese alten und ältesten Sprach- und Kulturprägungen, und durchaus als deren Weiterschreibung zu verstehen. Nicht zuletzt die komplexen syntaktischen Gefüge und Bildkompositionen eines Hölderlin werden in ihnen reaktiviert, und die Sprache selbst zum Gegenstand des Vorstellens und Denkens, indem die Gedichte einen sprachlich gebildeten Erkenntnisanspruch formulieren. Man kann sich die Gedichte Klaus Demus’ von hier aus als eine Art literarische Vermessung von Weltzeit, Zeit- und Vorstellungsräumen, Naturgeschichte und Naturphänomen vorstellen, in denen ein Ich eher selten hervortritt, viel eher aber ein Wir, das sich mit allem verbunden sieht, am Wort ist, wenn diese beiden Instanzen nicht überhaupt zurücktreten angesichts der Bewegungen, Kräfte und nicht zuletzt Gewalten, die das Menschliche einerseits übersteigen, und doch erst im Menschen einen artikulierbaren, eben sprachlichen Widerhall finden können. Pantheistische Beseeltheit der Weltphänomene kommt in ihnen genauso zum Ausdruck wie das Ringen der Elemente sowie des Menschen mit diesen und der dichterische Versuch, diesem Widerstreit mit den Mitteln der Sprache Ausdruck zu verleihen.

Michael Hammerschmid


Paul Celan, Klaus Demus, Nani Demus
Briefwechsel
Suhrkamp

Michael Hammerschmid, *1972, Dichter, Lehrbeauftragter am Institut für Sprachkunst und am Institut für Germanistik in Wien. In der Alten Schmiede Kurator u.a. der Lyrik-Reihe Dichterloh. Zuletzt erschienen: Schlaraffenbauch. Gedichte (Edition Büchergilde, mit Rotraut Susanne Berner). michaelhammerschmid.com