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Wege zum Hörspiel
Renate Pittroff
Der Atem, die Stille und der Herzschlag
Im Hörspiel ist der Atem das, was den Hörenden mit dem Sprechenden verbindet, ihre gemeinsame Referenz.
Diese
Gemeinsamkeit lässt sie einen imaginären Raum teilen, imaginär, da sie
zugleich anwesend und abwesend sind. Sie begegnen sich in einer an sich
unmöglichen Kommunikationssituation: Der anwesende Körper des Hörenden
hier, der an- und zugleich abwesende Körper der aufgezeichneten Stimme
dort.
Der Atem als das Gemeinsame und sofort auch als Trennlinie zu denen, die diesem Atemrhythmus nicht folgen.
Zuerst
ist die Stille: immer aus dem Nichts entsteht, was man hört, die
Klangflächen, Wortfetzen, Sätze – die Stille ist Voraussetzung dafür,
dass sich das Geflecht des Hörspiels entwickeln kann. Aus ihr bricht es
hervor, in sie verschwindet es wieder. Es wird gehört und ist dann
entschwunden.
Hörspiel ist Wort, Klang, Geräusch, in erster Linie aber ist es Rhythmus. Und damit rückt es in die Nähe zur Musik.
Rhythmus
ist auf den Herzschlag bezogen und wird fühlbar in der Abweichung von
ihm. Rhythmus ist die Abfolge von akustischem Ereignis und Pause. Sinn
entsteht aus der Asymmetrie von beiden: Pause ist absolut, akustisches
Ereignis ist relativ, es kann sich in eine potenziell unendliche
Bandbreite von Material entfalten. Zwischen schnell und langsam,
zwischen laut und leise, zwischen sanft und heftig, zwischen gebunden
und frei.
Lucas Cejpek
Ich habe Theater zuerst im Radio gehört, Das große Welttheater
in einem Küchenradio, und das Küchenradio ist für mich das Maß aller
Dinge geblieben, das Hörspiel als Begleitmusik zu ganz alltäglichen
Dingen, keine Tonspur zu einem imaginären Film, sondern die Begegnung
von Stimmen und Klängen, die einen Raum eröffnen, der gegenwärtig ist,
ein Weltempfänger, in dem sich fremde Sprachen und Geräusche zu einem
traumhaften Rauschen vermischen.
Magda Woitzuck
Das Fehlen der Bildebene – das fasst all die Dinge am besten zusammen, die ich am Hörspiel so mag. Denn ohne die Bildebene sind meiner Fantasie keine Grenzen gesetzt, muss ich auf keinen Raum verzichten und kann sogar noch welche dazuerfinden. Im Hörspiel geht alles. Es kann in der Antarktis spielen, an einem Strand oder in einem Pappkarton. Die Protagonisten können Könige sein, Wolken oder Mäuse. Ich kann einen Berg erzählen lassen. Ich kann ihm eine Stimme geben, die direkt zu jemandem spricht und berichtet, wie in seiner Jugend Dinosaurier über die Erde wandelten, dass sie dabei ganz leise waren, weil sie sanft auftraten. Vielleicht entschließt sich die Regie dazu, diesen Nicht-Klang von Dinosaurierschritten akustisch umzusetzen. Das ist übrigens auch etwas, dass ich sehr am Hörspiel mag: dass es zwar von meinem Schreibtisch in die Welt aufbricht, aber die SchauspielerInnen, die TechnikerInnen, die RegisseurInnen ihm seine Form geben, etwas Eigenes hinzufügen und so etwas Neues aus dem Text machen.
Das Fehlen der Bildebene bedeutet, alles sehen zu können. Oder: das Eigene sehen zu können. Sich selbst eine Welt zu erschaffen. Es sind ja nicht nur unsere Augen, die uns die Welt abbilden, es sind vor allem unsere Ohren. Wer einmal nach der Stille gehört hat, weiß, dass es keine Stille gibt. Wind, Babyschreien, Wolfsgeheul, ein heiseres Flüstern, das Kreischen der Straßenbahnschienen, all das schöpft in uns Bilder. Dieses Bilderschöpfen über und mit dem Klang der Welt, über und mit ihren vielen Stimmen – das gefällt mir am Hörspiel am besten.
Michael Hammerschmid
Statt eines Titels das Hörspiel=Gedicht:
hörspiel
in die ohren schweigen
aus den ohren schreiben
aus den ohren schreien
in der stille särge
aus der stille berge
in den bergen klänge
herzklopfen herzklopfen
aus.
Diese
Zeilen sind auf Anfrage der Hör! Spiel! Festival-Kuratorin Annalena
Stabauer, etwas über das Hörspiel zu schreiben, entstanden und dienen
mir nun als Ausgangspunkt, Anfangsnukleus, mir über das Hörspiel
Gedanken zu machen. Obiges Gedicht stellt mein kürzestes Hörspiel dar.
Es ist an und für sich egal, wie lange ein Hörspiel ist. In diesem Fall
ähnelt es einem Gedicht. Man könnte es unter Umständen mit einem solchen
verwechseln. In ihm also gar nicht das Hörspiel erkennen. Keine
Figuren, keine Stimmen, nicht die Länge, die ihm meist verordnet wird
(rund 40-50 Minuten). Und gerade das charakterisiert es für mich, das
Hörspiel. Es entwickelt seine eigene Form, ist formfrei und unerwartet.
Wie das Schreiben selbst. Unerwartet auch die Anfrage, die Anstoßfrage,
und hier steht es als Stein des Anstoßes, des eigenen nicht zuletzt, auf
dass die Gedanken und Bilder sich entwickeln. In die »ohren« schweigt
es. Es macht – wie das Gedicht – die Stille hörbar. Setzt sich damit von
den Talk-Sendungen ab, die es umgeben. Auch seine Musik ist eine
andere. In meinem Fall, in meiner Vorstellung, ist es die Musik der
Sprache, die es spricht, die aus der Stille kommt. Die Ohren müssen
schweigen lernen, im Hörspiel. Sie mögen das Schweigen abstrahlen. Dann
werden die Worte, die Klänge, anders gehört werden. Ohne schweigende
Ohren, kein Hörspiel. Ohne Ohren keins. Die Schönheit der Ohren ergibt
sich aus ihrer Fähigkeit zu schweigen. Ach was Mund. Das ist keine Frage
des Hörspiels übrigens, nicht für mich. »aus den ohren schreiben«. Dann
kann auch das Hörspiel entstehen. Indem die Ohren zu sprechen beginnen.
In meinem Fall ist es das Schreiben. Obwohl mir die O-Ton-Ästhetik
wichtig ist. Ich höchsten Respekt für die O-Ton-Geschichte,
beispielsweise eines Paul Wühr, habe. Bitte sehen Sie nach, holen Sie
sich ein Gedicht von Paul Wühr, ein Hörspiel von ihm. Am besten besorgen
Sie es sich heute. Das Hörspiel nämlich soll bewegen, zur Bewegung
Anlass geben. Stehen Sie auf, und glauben Sie nicht, dass es Sie in Ruhe
lässt. Das Hörspiel lässt niemanden in Ruhe. Es kommt - oft -
ungebeten, zu Gast. Denn das Ohr, hinlänglich bekannt dies, hat keine
Türen. Umso viel zarter müssen wir mit ihnen umgehen, um nicht invasiv
zu sein. Das der Hintergrund, die Geschichte des Radios, als
Propaganda-Apparat. Man hat den Menschen Nationalsozialismus (ach was
Sozialismus) über das Radio eingetrichtert, eingehämmert. Das ist der
Horizont des Hörspiels, sein Nie-Wieder. Allergrößte Vor-Sicht ist den
Hörspiel-Macher*innen geboten, denn: Das Hörspiel ist ein Massenmedium
und hat seine Macht, trägt seine Insignien, zumindest einen Teil davon,
auch wenn es zunehmend in die kleinen Sendeplätze gedrängt wird, damit
es nicht störe. Das Hörspiel aber muss stören, um sich selbst in die
Ohren schauen zu können. Keine andere Aufgabe bekommt ihm so gut, als
die Vorstellungen von dem, was es sei, und dem, was ist, zu verstören.
Es ist, ganz in der Tradition Brechts, wie jedes Medium, eine
Veränderungsapparatur, künstlich, ein Verfremdungsprozess. Es ist sich
fremd wie die eigene Stimme, die man im Radio (aufgenommen) hört. Dort
ansetzen, es sich nicht bequem machen. Um, dritter Vers, dritter Akt:
»aus den ohren schreien« zu können. Denn so leise und nuanciert es zu
sein hat, das Radio und das Hörspiel, so laut muss es werden können. Um
nicht klein beizugeben. Deshalb auch mein Interesse für die
»Einstürzenden Neubauten« und das Hörspiel »Hamletmaschine« von Heiner
Müller. »in der stille särge«. Das heißt auch, der Tod spricht mit. Das
hat ein gewisses Pathos, eben in diesem Moment kommt es von Heiner
Müller her. Er affirmiert das Pathos bis zu seiner eigenen
Unkenntlichkeit, er geht es an, arbeitet es an. Also Affirmation nicht
im banalen Sinne, sondern im Sinne des Ausprobierens, Erfahrens, an und
über die Grenze Manövrierens, wo sie ein anderes werden möge. Das ist in
der Kunst möglich (in der Politik übrigens ein Todesurteil der eigenen
Haltung). Die Särge in der Stille sind das grausame Erbe dieses Landes.
Und der in die Fremde verschobene Mord durch Abschiebung geht weiter.
Der Staat, ein Leviathan. Und auch das Radio nicht schuldlos. Man
selbst? »aus der stille berge«. Das ist die andere Stille, die schwer
lastet auf uns, die von den Großeltern und Eltern geerbte, die Stille
der Feigheit, des Unverständnisses, aber auch die Stille derer, die
nicht mehr sprechen können und derer, deren Stimme ungehört bleiben
soll. Aus ihr die Berge, vor denen man steht. »in den bergen klänge«
heißt, ich interpretiere selbst, in ihnen, diesen Bergen, ist zu
forschen, wie Novalis in der Tiefe zu suchen, auf die Klänge zu horchen,
die die eigentlichen Nuancen darstellen, aus denen Geschichte und
Gegenwart begreifbar, erahnbar wird. Klänge, wie sie das Hörspiel
brauchen kann. An dieser Stelle bekomme ich das Herzklopfen, das für
mich das Hörspiel ist. Es klopft an mich, in mir, an meine Ohren, aus
meinen Ohren, in meinem Herz. Es hört nicht auf zu klopfen. Herzklopfen,
der Puls des Menschen, des Hörspiels mithin auch. Die Aufregung,
Erregung, das Leben. aus.
Zum Hörspiel anhand eines Hörspiels=Gedichts, Wien, 1. Februar 2021
Elisabeth Weilenmann
Wenn ich schreibe, höre ich. Ich bin Autorin und Regisseurin – das eine geht nicht ohne das andere. Denn wenn ich einen Satz nicht hören kann – als Klang im Stück, das ich inszenieren werde, dann ist der Satz nicht gut. Und genau dort liegt meine Faszination am Hörspiel – in der Verschmelzung von Wort und Klang – in Rhythmus, in Musik. Das Hörspiel ist die Kunstform, in der ich meine Gefühle am besten oder vielleicht am leichtesten ausdrücken kann. Und so schreibe ich lieber ein Stück als irgendeine Rede, laufe herum und sammle Klänge und freue mich wie ein kleines Kind, wenn die ersten Minuten eines neuen Hörspiels grob angelegt sind und ich mich fügen kann – dem Fluss, dem Strom, dem Rhythmus. Denn es gibt nichts Beängstigenderes und zugleich Aufregenderes als den Anfang.
Aus: Peschina, Helmut (Hg.): Hör!Spiel: Stimmen aus dem Studio (= Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft 58/3 [2012]), S. 103.
Helmut Peschina
Das Drehen des Knopfes am Grundig-Apparat, das Michanblinzeln des
magischen Auges (der Abstimmanzeigeröhre) in der unteren Mitte der
Mattscheibe, auf der die Skalen zu sehen waren; so lange gedreht der
Knopf, bis das magische Auge nicht mehr blinzelte, das Gerät auf die
Sendefrequenz eingestellt war, und klare Töne die undefinierbaren
Kratzgeräusche ablösten, um mich aus der engen Wohnung in andere Welten
zu führen, in die der phantastischen »Hörbühne«.
Über die Jahre entwickelte und verfeinerte sich die Radiotechnik und mit ihr die Radiokunst.
Aus
der Hörbühne wurden Hörspiele, Hörstücke und Features, was meine Lust
am Hören vermehrte, zu der sich dann die Lust am Schreiben für dieses
Medium gesellte.
Friedrich Hahn
Für Ohren, die sehen.
Ein Gedicht ist für mich nicht nur ein Gedicht.
Meine Texte wollen manchmal auch gern ein Foto sein. Eine kurze Prosa.
Oder etwas Gemaltes. Eine Collage. Ein Schrei. Ein Echo. Ich habe mich
als Schrift- und Bildsteller schon immer gerne zwischen allen
Disziplinen bewegt.
Ich war 16, als ich meine ersten visuellen
Gedichte verfasste, ohne zu wissen, dass es so etwas wie konkrete Poesie
gab. In der Buchhandlung Herrmann in der Grünangergasse entdeckte ich
die Hefte von Heimrad Bäckers Neuen Texten. Ich schickte eine
kleine Auswahl meiner Arbeiten. Und sie wurden gedruckt. Ja, ich wurde
bald auch Mitglied der Gruppe Neue Texte und sogar Redaktionsmitglied.
Eins gab das andere. Und 1979 erschien mein erstes Buch in Vintilă
Ivănceanus Rhombus-Verlag.
Als Vintilă Ivănceanu mich nach einer
Lesung – es war übrigens die erste Doppellesung in der Alten Schmiede
und auch überhaupt meine allererste Lesung in der Alten Schmiede
(19.9.1980), Hubert Fabian Kulterer mein Co damals an diesem Abend –
fragte, ob ich nicht schon einmal daran gedacht hätte, ein Hörspiel zu
schreiben, sollte ich bald darauf eine neue literarische Welt für mich
entdecken. Ivănceanu arrangierte einen Termin bei Hans Rochelt vom
Studio Burgenland. Gemeinsam fuhren wir in die Argentinierstraße. Anfang
der 80er-Jahre war das Studio Burgenland gegenüber vom Funkhaus auf
einem leerstehenden Grundstück in Baracken untergebracht. Ja, ich solle
mal Vorschläge machen. Hans Rochelt lud mich in seiner ruhigen,
sympathischen Art ein, mir etwas zu überlegen. Das ließ ich mir
natürlich nicht zweimal sagen. Ich schrieb einen Text für zwei
Frauenstimmen, Titel: Bei offenem Fenster. Die Aufnahme ließ man
mich selbst machen. Auch die Regie. Johanna Tomek war die eine Stimme.
Doris Mayer die zweite. Bei ihr in der Privatwohnung fanden dann auch
die Aufnahmen statt. Natürlich »bei offenem Fenster«. Ich wollte Leben,
keine Studio-Atmo. Für den zweiten Teil des 55-Minuten-Sendetermins ließ
ich fünf SchauspielerInnen mit jeweils fünf vorgegebenen Sätzen im
Funkhaus Aufzug fahren. Und baute aus dem Mittschnitt dieser Performance
samt den spontanen Antworten und den Kommentaren der unbeteiligten
Mitfahrenden ein Stück Concept Art. Am 24. September 1982, an einem
Freitag um 21 Uhr saß ich gebannt vor dem Radiogerät. Meine beiden
ersten Hörspielarbeiten wurden auf Ö1 ausgestrahlt. Es sollten nicht
meine einzigen Arbeiten bleiben. Das Medium Hörfunk ließ mich nicht mehr
los.
Andreas Jungwirth
Meine erste literarische Veröffentlichung war ein Hörspiel.
Madonnenterror.
Außer dem Produktionsteam bekommt ein Hörstück niemand zu sehen, weder auf Papier gedruckt, noch auf der Bühne im Raum in Bewegung gebracht.
Die SchauspielerInnen verleihen den Figuren einen Klangkörper.
Man kann es hören.
Nur hören.
Obwohl ich später für die Bühne schrieb und auch Gedrucktes veröffentlicht habe, blieb ich dem Hörspiel treu.
Vielleicht, weil ich bei der Wiederbegegnung mit meiner eigenen Arbeit die Augen schließen kann.
Aus: Peschina, Helmut (Hg.): Hör!Spiel: Stimmen aus dem Studio (= Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film- und Medienwissenschaft 58/3 [2012]), S. 55.