der hammer 102
Gerold Foidls »Der Richtsaal«
Gerold Foidls »Der Richtsaal«. Eine (Wieder-)Entdeckung
Juni 2019
In dem Roman Der Richtsaal erzählt dessen damals 40-jähriger Autor Gerold Foidl von der Unterdrückung eines jungen Mannes durch zwei machtvolle Institutionen – die Familie und eine psychiatrische Anstalt. Die dergestalt erfolgende Kritik müsste sich eigentlich gerade im Kontext österreichischer Anti-Heimat-Literatur oder einer allgemeinen Österreich-Kritik durchaus einer gewissen Beliebtheit erfreuen.
Die literarischen Arbeiten von Gerold Foidl (1938–1982) haben bislang
jedoch nicht Eingang in den Kanon der österreichischen Literatur
gefunden. Wie lässt sich Foidls geringe Bekanntheit also erklären?
Mögliche Gründe für seine Randstellung in der österreichischen
Literaturgeschichte sind vielfältig. Sie mögen damit zusammenhängen,
dass Der Richtsaal als Foidls Debütroman erst zu seinem 40. Lebensjahr
erschien; damit, dass er wenige Jahre später verstarb und weitere
Bücher erst posthum erschienen; oder damit, dass sein Manuskript ohne
das Einverständnis des Autors um rund ein Drittel gekürzt wurde –
möglicherweise, weil das deutschsprachige literarische Feld für Foidls
radikale literarische Auseinandersetzung mit europäischer Psychiatrie in
den 1970er-Jahren schlichtweg noch nicht bereit war.