der hammer 96
Lyrikfestival Poliversale
Lyrikfestival Poliversale 2018
April 2018
Die von Gundi Feyrer für das diesjährige Internationale Lyrik-Festival Poliversale entworfene Zeichnung zeigt zwei Wesen, die wie Boreaden, die antiken Windgöttinnen, nicht nur die Lüfte in Bewegung versetzen, sondern auch die Buchstaben, die sich vor ihnen frei bewegen und zum Wort Poliversale formieren. Sie blasen sie dieses Jahr, anders als bei der letzten Poliversale 2016, wo die beiden aufeinander zuatmeten, in eine Richtung, als müssten sie jemandem etwas entgegensetzen. Als wollten sie sagen, dass es vieler Perspektiven (Poli-versale) bedarf, um frei zu denken und zu dichten, als wollten sie zeigen, dass es den freien Buchstaben braucht, um gegen den Wind, der ihnen wie unsichtbar von vorne entgegenbläst, dass ihnen das Haar nach hinten weht, anzukämpfen.
Es weht 2018 ein gesellschaftlich und sprachlich rauerer Wind, ein eisiger, und es zeigt die Dichtung der Gegenwart mehr denn je, wie leidenschaftlich und genau sie mit jenen Qualitäten der Sprache befasst ist, die dieser um sich greifenden Kälte und ihrem willkürlichen, funktionalisierenden Zugriff auf das Wort etwas Substantielles entgegensetzen kann. Zwischen 16. April und 15. Mai 2018 werden über 40 Dichterinnen und Dichter aus neun verschiedenen Ländern und sieben verschiedenen Sprachräumen die Sprache und ihre Mittel dichterisch erkunden und mit ihr unterschiedlichste gesellschaftliche Wirklichkeiten, unterschiedlichste Lebenszusammenhänge, unterschiedlichste Erkenntnisformen zur Darstellung bringen. Spezifische Lesungskonstellationen eröffnen vielfältige Perspektiven auf die Gegenwartslyrik; zusammen mit ausgewählten Positionen der Lyrik früherer Zeiten erschließen sie auf zweifache Weise Einsichten über den Zusammenhang von Sprache, Subjekt und Gesellschaft.
Michael Hammerschmid