Die Sichel 4
Die Sichel 4
Heft 4, November 2021/1. Jahr
Höllenwunderhorizont
»Ich will Bausteine zu einer philosophischen Theorie zusammentragen, der zufolge wir zwar am Grund einer Hölle voller Wunder leben mögen, aber die Höllenwunder einen Horizont erahnbar machen, der auf die Welt, welche die unsere ist, zugleich das Licht einer zeitlosen Befriedung fallen lässt. Die Geschichte vom Garten Eden ist noch nicht zu Ende erzählt.«
Man könnte anhand solcher Sätze, mit denen sich Peter Strasser am Beginn seines aktuellen Buches Eine Hölle voller Wunder an seine Leserschaft wendet, diesen für etwas halten, was er nicht ist, nämlich ein Religionsphilosoph. Man sollte ihn mit solchen Sätzen vielmehr als einen lesen, der er auch, aber beileibe nicht nur ist: ein Metaphysiker der handfesten Tatsachen, der alltäglichen und der poetischen Dinge. Materialistische Metaphysik wurde einst dem Marxisten Ernst Bloch vorgeworfen; man sollte Blochs Philosophie jedoch auch als Literatur lesen – und ebenso wird man bei der Lektüre des literaturaffinen Philosophen Strasser mit einem für sein Metier seltenen Stil belohnt, der abgeklärten Tiefsinn und Gedankenschärfe mit Heiterkeit und Humor verbindet.
Das in dieser Sichel in voller Länge wiedergegebene Interview mit Peter Strasser führten die Sonderzahlverleger Dieter Bandhauer und Matthias Schmidt in schriftlichem Austausch während des Lektorats von Strassers aktuellem Buch, mit dem es nun gleichzeitig erscheint. Neben luziden Einblicken in sein Denken und seine existentiellen Befunden liefert er darin auch einiges zum Schmunzeln, etwa wenn er bekennt, dass ihm jedes Burenhäutl mehr ans Herz greift als jegliches bürgerliche Kulturgehabe, er sein Konversionserlebnis mit Adorno schildert oder dem Maler Gerhard Richter bei großer Fülle gleichzeitig grenzenlose innere Leere bescheinigt. Das Gespräch, das Peter Strasser mit der Germanistin Daniela Striegl über Literatur und Philosophie in der Alten Schmiede geführt hat, ist auf alte-schmiede.at nachzusehen.
Walter Famler