blog
Katzen im Ulysses
#feldkirchenjoyce 1
September–Dezember 2020
Allusions, allusions – ausgehend von The Cats of Copenhagen, einem Brief von James Joyce an seinen Enkel Stephen aus dem Jahr 1936, der seit 2012 in verschiedenen Sprachen als Kinderbuch vorliegt, auf Katzensuche im Ulysses, um einige davon in die visuell-poetische Gestaltung zu integrieren: Eine Dubliner Haustür für die Fassade, Dublin gilt ja auch als Stadt der bunten Haustüren, meine Wahl »olive green« wie die »halldoor« in Ulysses, Episode 17, Ithaca, dem Frage-und-Antwort-Teil des Romans. Rechts unten eine Katzenluke, als Anspielung auf die Frage und Antwort in Episode 17: »For what creature was the door of egress a door of ingress? For a cat.« Die Katze als gregorianische Musiknote, in Schwarz auf weißem Grund. Musik, ein tragendes Element im Ulysses. Und das erste Wesen, mit dem Leopold Bloom am Morgen spricht – eine Katze: »Mkgnao!—O, there you are, Mr. Bloom said, turning from the fire« (Episode 4, Calypso). Schwarz auf Weiß auch der Fensterbereich der Tür, die Scheibe als Buchseite, ein Zitat aus dem Ulysses als minimalistische Referenz auf den Stream of Consciousness: Das Fragewort »Where?«, mit der semantischen Weggabelung »Wo?« und »Wohin?«, mit dem großen Schlusspunkt am Ende der Episode 17 als End- und Ausgangspunkt.
Im Fenster das Cadby-Piano aus der Episode 17: »What occupied the position originally occupied by the sideboard? A vertical piano (Cadby) with exposed keyboard, its closed coffin sup
porting a pair of long yellow ladies’ gloves and an emerald ashtray
containing four consumed mat (...).« Metamorphosen im Fenster: Die
Handschuhe und der Aschenbecher als gregorianische Notenzeichen des Gloria in excelsis Deo
aus der Episode 9, Scylla and Charybdis, die wie Katzen auf dem Piano
tanzen. Farbmotivik: Gelb und Grün, auch Orange und Weiß, dem
Leseeindruck nach die häufigsten Farben im Roman. Im Prinzip also die
Flagge Irlands oder Dublins, die sich im Buch entfaltet oder auch eine
Whiskeybar, die sich öffnet: die Kutscherkneipe, in der Leopold Bloom
und Stephen Dedalus in Episode 16, Eumaeus, tief in der Nacht versacken.
Oder die Landschaft der grünen Insel, die Klippen, die Küste, »seaspawn
and seawrack, the nearing tide« (Episode 3, Proteus): »Shut your eyes
and see.« Sprungbilder: Das Piano könnte auch eine Parkbank sein und die
Katzennoten mit dem durchschimmernden Stadthintergrund tanzendes
Herbstlaub oder tanzende Gläser in einer Bar.
Der Regenbogenhintergrund
des Fensterplakats folgt Joyce’ Stilmittel des »Gigantism«, Großes im
Kleinen zu spiegeln und umgekehrt sowie der Grundidee, die
James-Joyce-Passage mit Farben zu fluten. Es ist das Akronym roygbiv, das im Ulysses an
zwei Stellen auftaucht. Einmal in der Episode 13, Nausikaa: »Best time
to spray plants too in the shade after the sun. Some light still. Red
rays are longest. Roygbiv Vance taught us : red, orange, yellow, green,
blue, indigo, violet« und einmal in der Episode 15, Circe: »Ticktacktwo
wouldyousetashoe? (He performs juggler’s tricks, draws red, orange,
yellow, green, blue, indigo and violet silk handkerchiefs from his
mouth.) Roygbiv. 32 feet per second.« Die Lettern r, o, y, g, b, i, v
sind in den entsprechenden Farben gehalten und so vergrößert und
geschnitten, dass assoziativ auch andere Wörter oder Namen, besonders
»Joyce« und »Ulysses« gelesen werden können. Von »Cadby« ist der Schritt
nicht weit zu »cat«. Das CAT-Logo am Piano ist als horizontales
Ambigramm ausgeführt, also als Wort, das gedreht wiederum ein Wort
ergibt. In diesem Fall ein und dasselbe Wort, da die Buchstaben C, A,
und T von vorne und hinten betrachtet ihre Gestalt nicht ändern. Die
Lettern sind zu einem Figurengedicht angeordnet, das ein Katzengesicht
ergibt. Zudem sind sie gekippt, wodurch auch eine Formkongruenz mit dem
Bahnhof Feldkirch, dem Bahnsteig, den Gleisen und – symmetrisch
gedoppelt und damit zwei Richtungen signalisierend – dem Tunnel entsteht
und damit eine Anspielung auf das bekannte Zitat von Joyce: »Over
there, on those tracks the fate of Ulysses was decided in 1915.« Die
Katzenohren als Tunnelportale: Hinweise auf die damalige gefährliche
Situation mit der Ungewissheit, in welche Richtung die Fahrt weitergehen
würde.
Text: © Günter Vallaster
Günter Vallasters Beitrag erscheint auch in der Vorarlberger Literaturzeitschrift V mit Beiträgen von Franz Kabelka, Erika Kronabitter, Norbert Mayer, Petra Nachbaur, Peter Niedermair, Nils Nußbaumer, Renate Pittroff, Verena Roßbacher, Lisa Spalt, Andrea Zámbori, Christian Zillner und Dokumentation der literarischen Interventionen von Günter Vallaster, Christian Futscher und Sarah Rinderer im Projekt #feldkirchenjoyce von Frauke Kühn (literatur:vorarlberg netzwerk) und Harald F. Petermichl (Kulturamt der Stadt Feldkirch) 2020-21.
Im Vorwort zu V#37 schreiben die Herausgeber*innen Marie-Rose Rodewald-Cerha und Günter Vallaster über die Verbindung von James Joyce nach Vorarlberg: »Over there, on those tracks, the fate of Ulysses was decided in 1915, bemerkte Joyce 1932 bei einem Besuch in Feldkirch als Anspielung darauf, dass er während des 1. Weltkriegs mit dem Romanvorhaben im Gepäck auf der Fahrt nach Zürich bei der Grenzkontrolle am Bahnhof Feldkirch nur knapp der Verhaftung entkommen war. Am 100. Bloomsday 2004 wurden auf Initiative des Vorarlberger Literaturwissenschafters Andreas Weigel im Theater am Saumarkt die ersten Feldkircher Literaturtage zu James Joyce abgehalten und dabei die Löwen-Passage in James-Joyce-Passage umbenannt und das Joyce-Zitat in der Bahnhofshalle angebracht: ›Dort drüben auf den Schienen wurde 1915 das Schicksal des Ulysses entschieden.‹«
Literatur Vorarlberg