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Katzen im Ulysses

Blog, 24. Januar 2022
Am 2.2.1922 erschien punktgenau zu seinem 40. Geburtstag James Joyce’ Jahrhundertroman Ulysses in der Verlagsbuchhandlung Shakespeare and Company in Paris. Das palindromische Jubiläum nimmt räume für notizen – Festival für transmediale und visuelle Poesie – zum Ausgangspunkt, um die Bedeutung des ikonischen Monumentalromans für zeitgenössische Autor*innen aus Österreich, der Schweiz und Großbritannien in Performances, Lesungen, Text-Bild-Präsentationen und einer Ausstellung in der Kunsttankstelle Ottakring und der galerie wechselstrom zu unternehmen. Den Blick von Günter Vallaster, einem der Festival-Kurator*innen, auf James Joyce' Katzen stellen wir Ihnen vorab im Blog vor.


#feldkirchenjoyce 1

September–Dezember 2020

Allusions, allusions – ausgehend von The Cats of Copenhagen, einem Brief von James Joyce an seinen Enkel Stephen aus dem Jahr 1936, der seit 2012 in verschiedenen Sprachen als Kinderbuch vorliegt, auf Katzensuche im Ulysses, um einige davon in die visuell-poetische Gestaltung zu integrieren: Eine Dubliner Haustür für die Fassade, Dublin gilt ja auch als Stadt der bunten Haustüren, meine Wahl »olive green« wie die »halldoor« in Ulysses, Episode 17, Ithaca, dem Frage-und-Antwort-Teil des Romans. Rechts unten eine Katzenluke, als Anspielung auf die Frage und Antwort in Episode 17: »For what creature was the door of egress a door of ingress? For a cat.«  Die Katze als gregorianische Musiknote, in Schwarz auf weißem Grund. Musik, ein tragendes Element im Ulysses. Und das erste Wesen, mit dem Leopold Bloom am Morgen spricht – eine Katze: »Mkgnao!—O, there you are, Mr. Bloom said, turning from the fire« (Episode 4, Calypso). Schwarz auf Weiß auch der Fensterbereich der Tür, die Scheibe als Buchseite, ein Zitat aus dem Ulysses als minimalistische Referenz auf den Stream of Consciousness: Das Fragewort »Where?«, mit der semantischen Weggabelung »Wo?« und »Wohin?«, mit dem großen Schlusspunkt am Ende der Episode 17 als End- und Ausgangspunkt.

Im Fenster das Cadby-Piano aus der Episode 17: »What occupied the position originally occupied by the sideboard? A vertical piano (Cadby) with exposed keyboard, its closed coffin sup porting a pair of long yellow ladies’ gloves and an emerald ashtray containing four consumed mat (...).« Metamorphosen im Fenster: Die Handschuhe und der Aschenbecher als gregorianische Notenzeichen des Gloria in excelsis Deo aus der Episode 9, Scylla and Charybdis, die wie Katzen auf dem Piano tanzen. Farbmotivik: Gelb und Grün, auch Orange und Weiß, dem Leseeindruck nach die häufigsten Farben im Roman. Im Prinzip also die Flagge Irlands oder Dublins, die sich im Buch entfaltet oder auch eine Whiskeybar, die sich öffnet: die Kutscherkneipe, in der Leopold Bloom und Stephen Dedalus in Episode 16, Eumaeus, tief in der Nacht versacken. Oder die Landschaft der grünen Insel, die Klippen, die Küste, »seaspawn and seawrack, the nearing tide« (Episode 3, Proteus): »Shut your eyes and see.« Sprungbilder: Das Piano könnte auch eine Parkbank sein und die Katzennoten mit dem durchschimmernden Stadthintergrund tanzendes Herbstlaub oder tanzende Gläser in einer Bar.

Der Regenbogenhintergrund des Fensterplakats folgt Joyce’ Stilmittel des »Gigantism«, Großes im Kleinen zu spiegeln und umgekehrt sowie der Grundidee, die James-Joyce-Passage mit Farben zu fluten. Es ist das Akronym roygbiv, das im Ulysses an zwei Stellen auftaucht. Einmal in der Episode 13, Nausikaa: »Best time to spray plants too in the shade after the sun. Some light still. Red rays are longest. Roygbiv Vance taught us : red, orange, yellow, green, blue, indigo, violet« und einmal in der Episode 15, Circe: »Ticktacktwo wouldyousetashoe? (He performs juggler’s tricks, draws red, orange, yellow, green, blue, indigo and violet silk handkerchiefs from his mouth.) Roygbiv. 32 feet per second.« Die Lettern r, o, y, g, b, i, v sind in den entsprechenden Farben gehalten und so vergrößert und geschnitten, dass assoziativ auch andere Wörter oder Namen, besonders »Joyce« und »Ulysses« gelesen werden können. Von »Cadby« ist der Schritt nicht weit zu »cat«. Das CAT-Logo am Piano ist als horizontales Ambigramm ausgeführt, also als Wort, das gedreht wiederum ein Wort ergibt. In diesem Fall ein und dasselbe Wort, da die Buchstaben C, A, und T von vorne und hinten betrachtet ihre Gestalt nicht ändern. Die Lettern sind zu einem Figurengedicht angeordnet, das ein Katzengesicht ergibt. Zudem sind sie gekippt, wodurch auch eine Formkongruenz mit dem Bahnhof Feldkirch, dem Bahnsteig, den Gleisen und – symmetrisch gedoppelt und damit zwei Richtungen signalisierend – dem Tunnel entsteht und damit eine Anspielung auf das bekannte Zitat von Joyce: »Over there, on those tracks the fate of Ulysses was decided in 1915.« Die Katzenohren als Tunnelportale: Hinweise auf die damalige gefährliche Situation mit der Ungewissheit, in welche Richtung die Fahrt weitergehen würde.

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In einem Schaufenster der Hypo Vorarlberg Bank in der James-Joyce-Passage ausgestellt (v.r.n.l.): Die Ergebnisse des Workshops »Die Katzen von Kopenhagen – die Katzen von Feldkirch« mit Beiträgen der Teilnehmer*innen aus der »Jungen Szene« Johanna Gertschnig, Luna Levay, Simon Ludescher, Tobias March, Fynn-Luca Solèr inklusive Katzenturm mit Text-Treppe der Workshopgruppe, James Joyce, Die Katzen von Kopenhagen, übersetzt von Harry Rowohlt und illustriert von Wolf Erlbruch (München: Carl Hanser Verlag 2013), Fotos vom Katzengebäck der Bäckerei Schertler und Konditorei Schnell und Making-of-Plakat zur literarischen Intervention.

Text: © Günter Vallaster


Günter Vallasters Beitrag erscheint auch in der Vorarlberger Literaturzeitschrift V mit Beiträgen von Franz Kabelka, Erika Kronabitter, Norbert Mayer, Petra Nachbaur, Peter Niedermair, Nils Nußbaumer, Renate Pittroff, Verena Roßbacher, Lisa Spalt, Andrea Zámbori, Christian Zillner und Dokumentation der literarischen Interventionen von Günter Vallaster, Christian Futscher und Sarah Rinderer im Projekt #feldkirchenjoyce von Frauke Kühn (literatur:vorarlberg netzwerk) und Harald F. Petermichl (Kulturamt der Stadt Feldkirch) 2020-21.

Im Vorwort zu V#37 schreiben die Herausgeber*innen Marie-Rose Rodewald-Cerha und Günter Vallaster über die Verbindung von James Joyce nach Vorarlberg: »Over there, on those tracks, the fate of Ulysses was decided in 1915, bemerkte Joyce 1932 bei einem Besuch in Feldkirch als Anspielung darauf, dass er während des 1. Weltkriegs mit dem Romanvorhaben im Gepäck auf der Fahrt nach Zürich bei der Grenzkontrolle am Bahnhof Feldkirch nur knapp der Verhaftung entkommen war. Am 100. Bloomsday 2004 wurden auf Initiative des Vorarlberger Literaturwissenschafters Andreas Weigel im Theater am Saumarkt die ersten Feldkircher Literaturtage zu James Joyce abgehalten und dabei die Löwen-Passage in James-Joyce-Passage umbenannt und das Joyce-Zitat in der Bahnhofshalle angebracht: ›Dort drüben auf den Schienen wurde 1915 das Schicksal des Ulysses entschieden.‹«

Literatur Vorarlberg