räume für notizen 2023

algorithmus

willkommen zu
räume für notizen
2023
kuratiert von
in alphabetischer reihenfolge der vornamen
christoph theiler
günter vallaster
jörg piringer
und
renate pitroff

diese ausgabe von räume von notizen
ist
wenn ich mich nicht verzählt habe
die sechste ausgabe
das sechste mal
des seit 2014 biennal
und seit 2022 jährlich
stattfindenden festivals

jedes jahr gibt es
für räume für notizen
ein thema
ein motto
eine in das rampenlicht gestellte
geographische region
oder ähnliches

das motto des heutigen abends
das motto des ganzen festivals
im jahr 2023
ist
algorithmus
algorithmus
ist ein wort
das jeder jede kennt
es ist in den medien
alle sprechen darüber
wenige wissen definitives
alle sind von algorithmen betroffen
alle glauben eine meinung zu haben
algorithmen sind gut
algorithmen sind schlecht
algorithmen sind egal
man braucht keine angst zu haben
man sollte wachsam sein
man kann das alles ignorieren
algorithmen
sind
ja
was

was sind algorithmen denn
was sind algorithmen denn wirklich

was ist ein algorithmus

ein algorithmus
ist eine detaillierte anweisungsanleitung
für einen computer oder eine andere maschine
die dazu verwendet wird
eine bestimmte aufgabe auszuführen
ein algorithmus besteht aus einer reihe von schritten
die eindeutig und präzise beschrieben sind
und erfordert kein menschliches urteilsvermögen oder wissen
um ausgeführt zu werden
algorithmen werden oft in computerprogrammen verwendet
um aufgaben wie suchen
sortieren und berechnen auszuführen

sagt
nicht das lexikon
nicht wikipedia
wer fragt
heutzutage noch wikipedia
wikipedia ist so
2010
heute fragt man
fragen alle
fragen alle auf facebook
fragen die medien
fragen die leute
die künstliche intelligenz
die sogenannte künstliche intelligenz
die elektronische allwissende müllhalde
namens
tschet
tschi
pi
ti

das war
ja klar
dass das hier rein muss
als wäre es nicht schon genug
medienhype
medienhype
medienhype

was sind algorithmen
ich meine
was sind algorithmen wirklich
abseits der vorgelesenen definition
einer algorithmischen maschine
die wissen vortäuscht

das wort stammt
vom namen des persischen mathematikers und astronomen
abu dschafar muhammad ibn musa al-chwārizm
der die regeln
für das rechnen mit indisch-arabischen ziffern
beschrieb
im laufe der jahrhunderte wandelte sich die bedeutung des wortes
in eine eindeutige handlungsvorschrift
zur lösung eines problems
oder einer klasse von problemen

ein einfaches beispiel
wäre ein kochrezept

für schwarzen tee benötigen sie:
einen teebeutel mit schwarzem tee
wasser
optional: milch, zucker oder zitrone

zubereitung:
kochen sie wasser auf und lassen sie es kurz abkühlen, bis es ca. 90-95°c heiß ist
geben sie einen teebeutel pro tasse in eine teekanne
gießen sie das heiße wasser über die teeblätter und lassen sie den tee 3-5 minuten ziehen
entfernen sie den teebeutel und servieren sie den tee
optional können sie milch, zucker oder zitrone hinzufügen

und
es ist dabei egal
ob ich ihnen das
auf deutsch
oder englisch
oder in einer programmiersprache
wie c plus plus
oder python
erzähle
der algorithmus ist nicht
die umsetzung
in eine bestimmte hard
oder software
der algorithmus
ist die abstrakte rechenvorschrift
die blanke idee
wie etwas zu rechnen ist

apropos rechnen

nehmen wir die division
sie merken es
dieser algorithmus
findet kein ende
das ergebnis
ist eine periodische zahl
die kommastellen
setzen sich unendlich lang fort
wir menschen
sind irgendwann gelangweilt
und brechen die division ab
ein computer
kann das nur
wenn er gesagt bekommt
dass er irgendwann abbrechen soll
oder wenn der speicher voll ist

können wir herausfinden
ob ein algorithmus
ob ein programm
nicht zu einem ende kommen wird
gibt es einen algorithmus
der algorithmen daraufhin untersuchen kann
ob sie ein ende finden
oder nicht
der mathematiker alan turing
fand heraus
er bewies
nein
einen solchen algorithmus
kann es nicht geben
kein programm
kann über jedes andere programm
mit jedem beliebigen input sagen
ob es zu einem ende kommen wird
oder nicht
das ist einer der gründe
warum software
noch immer
fehler aufweist
warum programme abstürzen
warum stets neue sicherheitslücken
in digitalen systemen entdeckt werden
warum es noch immer
den beruf der softwaretesterinnen braucht
die programme so lange ausprobieren
bis kaum mehr fehler auftauchen

aber
wenn das thema des abends
des ganzen festivals
algorithmus
ist
warum
steht das dann nirgends
steht nicht gross
räume für notizen 2023
bindestrich
algorithmus
so wie letztes jahr
räume für notizen
slash slash
nach ulysses

wenn sie
den flyer ansehen
dann sehen sie die anordnung
der schrift
die wiederholungen
die abweichungen
und denken sich vielleicht
ganz schön mühsam
das alles mit der hand zu machen
oder sie denken es sich nicht
aber dennoch
wäre es mühsam
das händisch zu machen
und deswegen
hab ich das auch nicht
mit der hand gemacht
sondern
ein programm geschrieben
das diese schritte ausführt
die schrift wiederholt
die schattierung hinzufügt
sie sehen also
das ergebnis eines ausgeführten programmes
eines algorithmus
das ergebnis ist
klar zu sehen
ich muss also
gar nicht mehr den titel
das motto des festivals
hinschreiben
es ist ohnehin zu sehen
wenn man es weiss
wenn man darauf trainiert ist
diese strukturen zu sehen
sie zu analysieren
ihre form
die charakteristika
das kann nur
ein programm gemacht haben
denken sie sich
wenn sie so denken
wenn sie nicht so denken
bleibt ihnen die machart verschlossen
sie sehen das ergebnis
aber nicht die art der herstellung
sie sehen die timeline von facebook
wissen aber nicht
wieso sie schon wieder
ein koalabärenvideo zu sehen bekommen

sie sehen
um die welt der algorithmen
wirklich zu verstehen
braucht es wissen
insiderwissen
wer nichts davon weiss
spielt nicht mit
ihm oder ihr wird mitgespielt
manchmal besser mitgespielt
manchmal übel mitgespielt
die entscheidung trifft der algorithmus
oder vielmehr
die erfinder des algorithmus
jene die das modell
das businessmodell
die businesslogik
ausgearbeitet
ausgedacht haben
wie diese funktioniert
wissen nur sie
es bleibt eine blackbox
verschlossen
betriebsgeheimnis
algorithmen wirken
aber wir sehen nicht
wie und wo
wie genau
und wo genau
sie sind nicht offengelegt
gegen ihr ergebnis
gibt es keinen einspruch
und selbst wenn diese
wie in manchen fällen
als sogenannter open source code
offengelegt sind
braucht es einiges an wissen
einiges an expertentum
um sie zu verstehen
wissen ist hier
wie so oft
buchstäblich macht
programmierte macht

ins absolut perverse
wird diese macht
in den fantasien
der anhänger der cryptowährungen
getrieben
die von einer gesellschaft träumen
in der
code is law
der programmcode ist gesetz
gelten soll
soziale interaktionen werden
durch sogenannte smart contracts
ersetzt oder gesteuert
computerprogramme
die gesetze exekutieren oder zugänglich machen sollen
was auf der einen seite
von einem kompletten unverständnis
für die grenzen der programmierung
und der rechtswissenschaft zeugt
auf der anderen seite aber
extrem autoritäre züge aufweist
weshalb nicht zuletzt
faschisten wie peter thiel und elon musk
diese ideen mit religiösem eifer verbreiten

zwar sollen in dieser fantasiewelt
die programmcodes offenliegen
aber ohne das nötige wissen
sind sie noch undurchsichtiger als bisherige gesetze
kafkas torhüter vor dem gesetz
wird in dieser dystopie
durch eine klasse an programmierern ersetzt
die ernsthaft glauben
die mehrdeutigkeit
der menschlichen sprache
und des menschlichen handelns
in aussagenlogik übersetzen zu können

aber was
werden sie sich fragen
haben sie sich schon die ganze zeit gefragt
hat das
mit literatur zu tun
was redet er hier von
halteproblemen
persischen mathematikern
und amerikanischen faschisten
die nie wittgenstein gelesen haben

die erste antwort darauf
ist offensichtlich

algorithmen sind teil unserer welt
sie beeinflussen schon jetzt
und werden auch in zukunft
unser leben
unser lieben
unser handeln
in digitalen
und vermehrt auch in analogen räumen
beeinflussen
darüber und mit ihnen zu schreiben
scheint ein legitimer
und wichtiger weg
um mehr über sie
und unsere welt herauszufinden
um sie und ihre erschaffer
zu kritisieren

die zweite antwort auf die frage
was algorithmen mit literatur zu haben
ist
als produktionsmethode
als generative idee
als sprachmaschine

so abstrakt das klingt
so alt ist diese idee

schon im alten rom
wurde mit zufall
mit mathematik und sprache
und mit gebundener sprache
in strenger anordnung experimentiert
seien es gedichte
magische quadrate
reime
versschemata
palindrome
akrosticha
sonettenkränze
und so weiter

das sind alles
rechenvorschriften
arbeitsvorschriften
algorithmen

auf die spitze getrieben
wurden diese ideen
im zwanzigsten und einundzwanzigsten jahrhundert
von strömungen und gruppen
wie
oulipo
der wiener gruppe
und den protagonistinnen des konzeptuellen schreibens

und schliesslich von
vertreterinnen der digitalen poesie
die die literaturproduktion
tatsächlich teilweise
durch maschinen erledigen lassen

über all das
werden sie im laufe
der kommenden zwei abende
hören
und sehen

womit diese einleitung
beendet ist

Text: © Jörg Piringer

Festival-Konzept: Jörg Piringer, Renate Pittroff, Christoph Theiler, Günter Vallaster