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Rike Scheffler: Echoes from the Future

Blog, 29. Februar 2024
Rituelle Praktiken sind Ausgangspunkt der beiden Soundperformances, die Rike Scheffler und Kinga Tóth am Montag, 4.3., in der Alten Schmiede vorstellen. Rike Schefflers Performance Echoes from the Future steht in engem Zusammenhang mit ihrem jüngsten Gedichtband Lava. Rituale (kookbooks, 2023). Vorab gab sie Auskunft über Grundlagen und Einflüsse, poetologische Fragestellungen und über ihre politische Perspektive auf Sprache und deren Verkörperungen.


Annalena Stabauer:
Lava. Rituale ist eine Zeitreise mit poetischen Mitteln, von der jüngsten Vergangenheit bis in eine unbestimmte Zukunft. Der Ausgangspunkt ist erkennbar die Suche nach einer Existenzform, die ihre eigenen Grundlagen achtet und statt auf Dominanz auf Verbindungen mit Lebewesen und Umwelt setzt. Das führt zur Imagination einer posthumanen oder mehr als humanen Existenz, die das Individuum auflöst zugunsten eines symbiotischen Zusammenlebens mit anderen Spezies, bis hin zur Auflösung von ›Spezies‹ selbst.
Könntest du beschreiben, wie du zu dem grundlegenden Bild von Lava, flüssigem Gestein, gelangt bist? 

Rike Scheffler: Poetischer Ausgangspunkt für meinen Lyrikband waren meine vielen Reisen nach Island und das dortige besondere Gleichgewicht von menschlichen Wesen und den sie omnipräsent umgebenden Naturkräften. Ganz anders, als ich das aus Deutschland kenne, ist die Natur dort in großen Teilen nicht domestiziert. Eine Bekannte von mir sagte einmal sehr treffend: In Deutschland gibt es kaum einen Baum, in dem der Staat nicht schon einmal drin war. In Island hingegen erlebe ich teilweise ein ganz anderes Kräfteverhältnis, ein anderes Miteinander, auch über Artengrenzen hinweg. Die Menschen dort üben sich seit Jahrhunderten im Umgang mit den Naturgewalten, die sie umgeben und die ihr Leben bestimmen. Und halten angesichts von Gefahren eher zusammen. Vor wenigen Wochen erst gab es ganz in der Nähe von Reykjavík wieder zwei Lava-Eruptionen, auch menschliches Leben war bedroht, die Stadt Grindavík musste evakuiert werden.
Dieses besondere, für mich sehr zukunftsweisende Verhältnis, der sehr demütige Umgang oder das Sich-Einfinden in Natur, war und ist etwas, das mich beeindruckt und tief inspiriert.
Das Bild der Lava für meinen Titel ist dann tatsächlich aber erst relativ spät im Prozess gekommen, als die Gedichte schon geschrieben waren. Ich habe eine Instanz gesucht, die sich extrem transformieren kann. Etwas, das flüssig und fest sein kann, verschiedene Seinszustände aufweisen kann, in geologischer Zeit agiert und für neue Verhältnisse, buchstäblich neue Erde sorgt. Zudem war es mir wichtig, eine nicht-humane Agentin im Titel zu haben, so dass direkt klar ist, dass das Zentrum von Leben auf dieser Erde nicht mehr der Mensch ist, dass das anthropozentrische Weltbild für mich passé ist.
Dann kamen für den Titel noch die Rituale dazu, um deutlich zu machen, dass meine Gedichte für mich selbst ein Raum des stetigen Sich-Einübens in die Transformationen des Lebens sind. Dass wir als menschliche Wesen sterblich sind und im besten Falle gut umgehen können mit eben erwähnten Kräften der Natur, aber auch mit anderen Lebenskräften wie dem Tod oder der Lebendigkeit oder auch der Liebe. All dies ist viel größer und älter als wir Menschen.

Annalena Stabauer: Die Lava verbindet sich im Buch auch mit einer feministischen Perspektive. Dem letzten Abschnitt stellst du u.a. ein Zitat von Ursula K. Le Guin voran, das Eruptionen metaphorisch in einen emanzipatorischen Kontext setzt. In den Gedichten kommt - neben vielen anderen Körpern - auch ein menstruierender Körper zur Sprache. Wie wichtig ist die feministische Perspektive für das Anliegen dieses Buches? 

Rike Scheffler: Intersektionale trans- und queerfeministische Perspektiven sind mir extrem wichtig. Sie sind immer wieder Ausgangspunkt für mein Suchen nach einer neuen Sprache. Es ist ein genuines Interesse von mir als Person, aber auch in meinem Schreiben, neue Sprach- und Sprechweisen zu finden und zu entwickeln, die inklusiver sind, die zärtlicher sind, die nicht-binäre und als weiblich gelesene Körper anders behandeln, ihnen wärmer und freundlicher begegnen, die spürbar aus ihren Lebensrealitäten sprechen. Gleichzeitig geht es mir aber nicht nur um Sanftheit, sondern auch um eine politische Bewegung, ein neues Aushandeln und Einfordern von Sichtbarkeit für ebendiese nichtbinären Seinsweisen, weibliche Seinsweisen, aber auch für nicht-weiße und nicht-westliche Seinsweisen. Und natürlich eben um ein Platzmachen für bereits erwähnte mehr als menschliche Seinsweisen. Den Diskriminierungen, die in unseren Gesellschaften und Sprachen vorherrschen, möchte ich in meinen lyrischen Räumen entgegenwirken bzw. andere Realitäten gegenüberstellen, in denen Sprache vielleicht als Einladung fungieren kann. Deswegen ist es wirklich ein sehr elementares Interesse - was sich denke ich auch u.a. darin zeigt, dass ich im Laufe der Kapitel, entsprechend der im Band existierenden Zeitsprünge in spekulative Zukünfte, die Pronomen wechsle bzw. weiterentwickle, Neo-Pronomen mit einbinde. Im Laufe der Gedichtkapitel entwickelt sich das lyrische Sprechen weg von einem individuellen und hin zu einem artenübergreifend kollektiv sprechenden Ich. Meine Gedichte begreife ich hierbei als Anker, die ich in Zukunft hineinwerfe, vielleicht als Spurensuche oder Vorschlag, wo wir uns gemeinsam hin entwickeln könnten, so wir denn unser Handeln im Heute ändern.

Annalena Stabauer: An einer Station deiner Zeitreise setzt du in drei aufeinanderfolgenden Gedichten nur einzelne Lautzeichen und Lautgruppen. Sie mögen zuerst vorrangig visuelle Qualität haben, weil sich wenige spontan einem Laut zuordnen lassen. Vermutlich entstammen sie alle dem Internationalen Phonetischen Alphabet. Die Titel der Gedichte lauten »als Phyto-plankton_«, »Regen auf Wasser_«, »brodelnder Schlamm_«. Sind die Gedichte lautmalerisch-imitatorisch inspiriert oder wäre das zu kurz gegriffen? 

Rike Scheffler: Die Gedichte, die du erwähnst, sind Teil des dritten Zyklus mit dem Titel »Wasser werden, Wal«. In diesem Zyklus erkundet ein lyrisches Ich, genau wie du vermutest, über mimetisch-klangliche Ebenen die eigene, aufregende Verbundenheit mit anderem wässrigen Leben. Es lernt die filigranen Bewegungen von Phytoplankton, es suhlt sich mit chinesischen Wasserbüffeln im Schlamm. Auch in diesem Zyklus finden wir also eine Auseinandersetzung mit den Kräfteverhältnissen von Lebewesen auf diesem Planeten, eine Entwicklung von Gemeinschaften lebendiger Wesen über Artengrenzen hinweg. Für mich liegt in der Erschaffung dieser Gemeinschaften eine erstrebenswerte Zukunft. Aber natürlich ist dieser Zyklus eben auch eine Auseinandersetzung mit bereits existierenden menschengemachten Systemen wie dem Internationalen Phonetischen Alphabet. Hier kommen wir zu einer grundsätzlichen Frage, die ich mir während meiner Arbeit an Lava. Rituale immer wieder gestellt habe: Ich wollte einen Lyrikband schreiben und gleichzeitig war es mir ein zentrales Anliegen, dass auch innerhalb dieses sehr menschlichen Mediums Buch der Raum aufgemacht wird für nichtmenschliches Sprechen. Daraus ergeben sich dann aber natürlich Folgefragen: Wie könnte das aussehen und wie ist das überhaupt möglich, mit mehr als menschlichen Agent*innen ins Gespräch zu kommen mit meinem sehr menschlichen Werkzeug, der menschlichen Sprache. Das Internationale Phonetische Alphabet selbst ist ja bereits ein Versuch, über Sprachgrenzen hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen, beziehungsweise Sprach-Ordnungssysteme zur Verständigung zu entwickeln. Daher war es für mich ein interessanter Ausgangspunkt. Ich habe das IPA dann aber sehr frei verwendet und versucht, seine Logiken auf nichtmenschliche Laute auszuweiten. Es war also auch ein Versuch, das menschliche Sprechen selbst weiterzuentwickeln und durchlässig zu machen für mehr als menschliches Sprechen. Die drei Gedichte, die du erwähnst, sind hierbei übrigens konkrete Spiegelungen von existierenden Klangwelten. Ich wollte real existierende mehr als menschliche, wässrige Agent*innen wie Phytoplankton, Schlamm und Regen, ihre klanglichen Ausdrucksweisen und Stimmen aufs Papier bringen, um ihre Welten zu erkunden, ihre Vielstimmigkeit aufzuzeigen und der Frage nachzugehen, ob und wie ich mit meinen menschlichen Sprech- und Hörgewohnheiten mit ihnen in ein Gespräch gehen kann.

Annalena Stabauer: Die Stimme führt direkt zur Frage nach dem Zusammenwirken von Buch und Performance. Lava. Rituale lässt sich als Partitur lesen, andererseits ist es mit Fotomontagen und Grafiken ausgesprochen visuell konzipiert. Wie verhalten sich das Buch und die Sound-Performance Echoes from the Future zueinander?

Rike Scheffler: Buch und Soundperformance stehen einerseits für sich, bilden aber gleichzeitig auch ein Gesamtwerk, ein transdisziplinäres Triptychon mit einem dritten elementaren Teil meiner künstlerischen Arbeit, der Soundinstallation. Bei mir entsteht oft eins aus dem anderen, es gibt aber auch viele Synergie- und Wechselwirkungseffekte. Meine live Performance Echoes from the Future ist beispielsweise eine Vertonung und Verkörperung meines Gedichtbandes. Nach dieser Bewegung vom Buch zu Körper, Performance und Klang folgt bei mir oft eine weitere räumliche Inszenierung der Gedichte. 2024 begann für mich mit der Arbeit an einer Ausstellung, die letzte Woche im Berliner Bärenzwinger eröffnet hat. Dort zeige ich eine Sound- und Videoarbeit, welche wiederum das letzte Kapitel der Lava. Rituale visualisiert und vertont. Diese sieben sich in Zärtlichkeit und artenübergreifendem Sein übenden Ritual-Gedichte werden im Berliner Bärenzwinger in einen Raum gestellt, in dem Interspezies-Gemeinschaften sehr neu sind: Noch bis 2015 wurden dort mitten in der Stadt Bären auf sehr gewaltvolle Art in Käfigen zur menschlichen Unterhaltung gehalten. Der Ort steckt auch voller Nazi-Vergangenheit, inklusive deren verkommenen ›Idealen‹ von Unterwerfung und patriarchaler ›Stärke‹. Er steht also in einem absoluten Gegensatz zu meinen künstlerischen Inhalten. Mein Anliegen war und ist es, gerade an solchen Orten ortsspezifisch und queerfeministisch zu intervenieren und Zärtlichkeit in die Räume zu tragen. Aber auch in meinen Live-Performances reagiere ich immer ein wenig auf den konkreten Aufführungsort, sein anwesendes Publikum. Meine Performances sind nie abgeschlossen, sie transformieren sich immer weiter. Die Soundperformance Echoes from the Future, die ich bei euch in Wien in der Alten Schmiede zeigen werde, geht im Moment bis zum fünften Kapitel meines Gedichtbandes. Das sechste und siebte sind gerade noch in Ausarbeitung. In Zukunft wird Echoes from the Future wahrscheinlich sogar noch transdisziplinärer, denke ich. Ich freue mich in jedem Fall schon auf den Abend bei euch in Wien!

Annalena Stabauer: Wir freuen uns auf deinen Auftritt! Vielen Dank für das Gespräch.

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