programm
97. Grundbuch der österreichischen Literatur seit 1945
In sieben Szenarien, darunter die Grundlage ihres Theaterstückes Die Beteiligten (2009), offenbart Kathrin Röggla in die alarmbereiten ein Arsenal an medial geprägten pseudofunktionalistischen Sprachhülsen, die reale Verhältnisse verschleiern und in erregter Übertreibung Sachverhalte verzerren, ins Monströse aufblähen. Dieser öffentlich verbreitete Sprachgebrauch hebt Unterschiede zwischen realer und möglicher Bedrohung, individueller Angstvorstellung und evidentem kollektiven Notfall, Hilfeleistung und Übergriff, Problemlösung und Konfliktverschärfung, demokratischem Ritual und autokratischer Entscheidung, Verantwortlichkeit und Ausgeliefert-Sein auf, eindeutige Begriffe und Kategorien scheinen im permanenten Schwall des Geredes überflüssig zu werden. Die vorgebliche Sorge um die Menschen wird in diesen Stimmen-Stücken als monologische Schausprecherei entblößt, die Kluft zwischen den wahren Lebensbedingungen der Menschen und den abgeschirmten Sprechräumen wird unüberbrückbar. Wie nebenbei artikuliert Kathrin Rögglas Art angewandter Sprach- und Medienkritik brisante Befunde von Zersetzungen eines gesellschaftlichen Lebens. Ihre Arbeit kann in einer Traditionslinie von Johann Nepomuk Nestroy über Karl Kraus bis zu Elfriede Jelinek gelesen werden; Ernst Jandls Stück Aus der Fremde scheint für ihre zwischen Komik und Entsetzen changierende Analyse eines Lebens zwischen Indikativ und Konjunktiv ein taugliches Modell geboten zu haben.
K. Neumann
Kathrin Röggla, *1971 in Salzburg, lebt in Köln. Prosa, Romane, Radioarbeiten, Theatertexte, Lehre an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Zuletzt erschien u.a.: Laufendes Verfahren. Roman (2023, Hörspiel 2020, Theater 2022); Nichts sagen. Nichts hören. Nichts sehen (2025).
Joseph Vogl, *1957 in Bayern. Literatur-, Kultur- und
Medienwissenschaftler und Philosoph. Lehrte bis 2023 an der
Humboldt-Universität Berlin, Permanent Visiting Professor der Princeton
University. Zuletzt u.a.: Senkblei der Geschichten. Gespräche (gem. mit Alexander Kluge, 2020); Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart (2021).