der hammer 90
Neue Weltliteratur – »World lite«?
Neue Weltliteratur – »World lite«?
Juni 2017
John Mateer und Sabine Scholl: Zwei Stimmen einer globalen literarischen Debatte
Im Wiener Sonderzahl Verlag erschien 2015 eine bemerkenswerte Studie Sabine Scholls über Literatur in der gegenwärtigen Hoch-Zeit der Globalisierung. In dem Buch mit dem Titel Nicht ganz dicht. Zu örtlichen Verschiebungen und Post-Literaturen leistet sie eine Recherche zum Stand der Debatte auf internationaler Ebene, die aktuelle theoretische Positionen der Literaturwissenschaft, Anthropologie, Geschichte und Kritik berücksichtigt und den Lesenden zur Kenntnis bringt. Diese Recherche fungiert im Buch als theoretische Unterfütterung von Sabine Scholls Leseberichten und Interpretationen einer Reihe von Büchern, eine Auswahl von literarischen Positionen, die sich unter dem Begriff einer »Neuen Weltliteratur« versammeln könnten. An dieser Stelle hakt der Titel des Buches ein: Als nicht ganz dicht sollen die Kategorien aufgefasst werden, mit denen Welt und Literatur beschrieben werden, schon alleine aus dem Grund, der Verlockung zu großer Vereinfachung zu widerstehen.
Ebenfalls im Sonderzahl Verlag erscheint in Kürze ein anderes bemerkenswertes Buch mit dem Titel Ungläubige. Gedichte und der Essay »Interview mit einem Gespenst« von John Mateer. Der in Südafrika geborene australische Staatsbürger Mateer ist ein Dichter, der das Reisen und seine eigene hybride Identität zu einer wichtigen Grundlage seines Schreibens gemacht hat. An seiner Arbeit wird sichtbar, wie das literarische Schreiben als Methode der Weltaneignung über das bloße Erkennen des sogenannten »Faktischen« hinaus wirken kann. Die Gedichte in dem Band widmen sich thematisch unter anderem großen Migrations- und Eroberungsbewegungen seit dem Mittelalter, die von Europa und dem Hinauswurf der muslimischen Herrscher aus dem heutigen Spanien und Portugal ausgehend und mit dem folgenden Kolonialismus und Konquistadoren-System einige der Gründe für vieles schufen, was die Welt heute intensiv beschäftigt: (Bürger)kriege, essentialistische Identitätszuschreibungen, große Fluchtbewegungen.
Damit setzt seine
Arbeit einen Kontrapunkt zu einer Problematik, die die Herausgeber des
New Yorker Literatur- und Kultur-Magazins n+1 aufgeworfen haben – und
die Sabine Scholl als Position referiert: Sie bewerten die globale
Literatur zu einem großen Teil als korrumpiert, als »leichte Kost«. Auch
Sabine Scholl entwickelt dazu antithetische Perspektiven, und das tut
sie sowohl in dem Band Nicht ganz dicht selbst als auch in ihrer eigenen
poetischen Arbeit, die in Form von bisher noch nicht veröffentlichten
Gedichten diesen Hammer vervollständigt.