der hammer 101
Dichterloh 2019
Lyrikfestival Dichterloh 2019
Mai 2019
Das Unterschiedliche, das Ähnliche, das Einmalige
Ein Streifzug von Michael Hammerschmid
Dichterloh macht Sie dieses Jahr mit den Werken von rund 20 Dichterinnen und Dichtern aus über 10 Ländern, Sprachen und Kulturen
sowie von über 10 übersetzenden Autorinnen und Autoren bekannt.
An sieben Abenden mit ein bis vier Lesenden treten verschieden
akzentuierte ästhetische Ansätze miteinander in Beziehung. Jedes
Gedicht steht dabei für sich und verweist gleichzeitig auf die unterschiedlichen kulturellen, gesellschaftlichen, sprachlichen Hintergründe und Prägungen, die es aufnimmt und in verdichtete Sprache
verwandelt.
Das Spektrum der Schreib- und Wahrnehmungsweisen ist dabei heuer wieder äußerst vielfältig: Es umfasst substanzielle Auseinandersetzungen mit der Sagbarkeit von Abschied und Liebe (D. Rees-Jones, L. Faschinger, P. Goranovic, ...), Formen des Wieder- und Weiterschreibens und der poetischen Material-Verwandlung (D. Kraus, S. Schmitzer, ...), Positionen äußerster dichterischer Reduktion (P. Enzinger, ...), Kinder ansprechendes Schreiben im »Erwachsenenkontext« (H. Janisch, J.N. Pfeifer, ...), mehrstimmige Übersetzungsprojekte (M. Vieider/A. Dejaco, F. Italiano/J. Wagner, U. Stolterfoht, ...), existenzielles, selbstreferenzielles Dichten mit teils erzählendem Impetus (A. Golob, T. Sofronieva, D. Petrik, ...) sowie jahrzehntelange dichterische Auseinandersetzung mit dem Holocaust (Jerome Rothenberg). In dieser Vielfalt gespiegelt und im jeweiligen Gedicht gestaltet, wird deutlich, wie es der Dichtung immer wieder gelingt, scheinbare und reale Gegensätze von Ich und Gesellschaft, Eigenem und Fremdem, Vergangenheit und Gegenwart (etc.) produktiv zu machen. Gerade in Zeiten funktionaler und ideologischer Simplifizierung aller möglichen Lebensbereiche ist sie beispielgebend dafür, wie unangepasste, kritische, empfindungsgenaue, schlicht lebendige Verarbeitung und Weitergabe von Erfahrung aussehen kann.
Modellhaft für die Miteinbeziehung vieler Einflüsse aus verdrängten
und unterdrückten Kulturen – etwa jener der indigenen Bevölkerung
Amerikas –, für die konsequente Auseinandersetzung mit der
(eigenen) Geschichte, Vorgeschichte und den Auswirkungen des Holocausts
sowie für eine über Grenzen gehende Ästhetik, für die
das Signet der sogenannten ›Ethnopoesie‹ geprägt wurde, kann
das dichterische Werk Jerome Rothenbergs stehen. Am 27.5.
(dem Abschlussabend von Dichterloh) wird der Judaist, Dichter
und Übersetzer Jerome Rothenbergs, Norbert Lange, es gemeinsam mit dem
Autor vorstellen. Rothenberg, 1931 als Sohn jüdisch-polnischer
Einwanderer geboren und in New York lebend, wird
Auszüge aus seinem »Triptych« lesen, das sich aus den Bänden
Poland/1931, Khurbn und The Burning Babe zusammensetzt.