Blaß sei mein Gesicht
Im Rahmen des Autor*innenprojekts Retrogranden aufgefrischt beleuchten Gegenwartsautor*innen mit unterschiedlichen literarischen Ansätzen das Werk von Dichter*innen des 20./21. Jahrhunderts, schreiben es weiter oder um. Für den Blog der Alten Schmiede befasst sich Veranstaltungskurator Markus Köhle mit der Essayistin und Lyrikerin Heidi Pataki, die auch im Zentrum des nächsten Retrogranden aufgefrischt-Abends am 18. September stehen wird.
Blaß sei mein Gesicht
von Markus Köhle
Blaß sei mein Gesicht ist natürlich ein guter Titel. Obwohl man sich fast ein wenig schwer tut mit der alten Rechtschreibung. »Blass« käme krasser, aber »Blaß« mit »ß« ist halt ein Abbild der Zeit. Blaß sei mein Gesicht also. Alle tragen gerade ihre Urlaubsbräune zur Schau, klagen über die tropischen Tage und Nächte, über Starkregen und Hochwasser, über Miet- und Bierpreiserhöhung, da fetzt Blaß sei mein Gesicht umso mehr rein. Heidi Pataki wollte reinfetzen. »und die sprache hängt in fetzi / ganz zu schweigen vom gesprächi«, (schreibt Heidi Pataki im Gedicht »schicksals nixe oder epitaph für ein ›i‹«).
Heidi Pataki war meinungsstark und streitlustig. Heidi Pataki steht im Zentrum von Retrogranden aufgefrischt #VII und Blaß sei mein Gesicht ist kein Buchtitel von Heidi Pataki, es ist der Titel einer von Barbara Neuwirth in der Phantastischen Bibliothek als Suhrkamp Taschenbuch herausgegebenen Anthologie aus dem Jahre 1990. Der Band versammelt Vampirgeschichten von Frauen und ist 1988 bereits im Wiener Frauenverlag erschienen. Heidi Pataki hat einen Beitrag dazu beigesteuert, der den Titel »böse miene zum bösen spiel oder wie man vampire tötet« trägt.
Man muss Heidi Pataki gar nicht kennen oder gelesen haben, um zu ahnen, dass es hier nicht bloß darum geht, Vampire zu töten. Hier soll es dem Patriarchat an den Kragen gehen. Das Patriarchat ist der Blutsauger schlechthin. Das Patriarchat schlüpft – wie der Kapitalismus – in immer neue Kleider und scheint, egal was passiert, immer zu profitieren. Das klingt verdächtig nach der FPÖ, ist aber leider komplexer. Der Kapitalismus, das Patriarchat: komplexe Angelegenheiten. Die FPÖ: ein Komplexhaufen.
»Der Multikomplex«, so hätte der Titel eines Artikels von Heidi Pataki über Patriarchat, Kapitalismus und FPÖ lauten können. Ein Artikel im FORVM, für das sie 1970–1980 redaktionell arbeitete. Auf http://forvm.contextxxi.org/_heidi-pataki_.html sind zahlreiche ihrer Texte nachzulesen, die Titel tragen wie: »gehirnwäsche«, »Ich habe das Unrecht gespürt«, »Metaphysik & Matjeshering«, »Ehe ist Blödsinn«, »Der Häuselstrich is scho des letzte«, »Fristenlösung zurückpudern?« oder »Katalog der schicken Ideen«.
In letztgenanntem Beitrag zitiert Heidi Pataki eingangs Valerie Solanas: »Den Mann ein Tier zu nennen, heißt ihm schmeicheln. Er ist eine Maschine, ein Gummipeter auf zwei Beinen.« Sodann schreibt Heidi Pataki in dem Artikel aus dem Jahre 1971 über Frauenemanzipation: »Die Lösung für die Emanzipation der Frau könnte darum nur in der Emanzipation des Mannes von seinen, ihn selbst erniedrigenden und entwürdigenden Rollen als Haustyrann, Ehekrüppel, Rabenvater und Weiberfeind sein. Die Frauenemanzipation kann nicht allein Sache der Frauen sein: sie wäre sonst nichts anderes als die Befreiung des Mannes von seiner Verantwortung gegenüber der Frau.« Das war vor 52 Jahren. Vor 52 Jahren war ich noch vier Jahre nicht auf den Gugelhupf Welt gepudert. An der Emanzipation des Mannes ist noch immer zu arbeiten. Ob es hilft, sich Barbie anzuschauen?
Gertraud Klemm schreibt in der Standard vom 14. August 2023 über Barbie: »Sie hat sich vom altfeministischen Albtraum zur popfeministischen Filmikone gewandelt, die ganz ohne biologisches Gedöns das Patriarchat aufmischt.« »Solange wir Patriarchat, Kapitalismus und den Begriff Mann haben, brauchen wir die Schutzmarke Frau«, schreibt Klemm ebenso.
Ist Gertraud Klemm die Heidi Pataki von heute? Lässt sich das beantworten? Ist dieser Vergleich überhaupt zulässig? Heidi Pataki ist, wie Gertraud Klemm, eine engagierte Feministin ihrer Zeit. Mancherorts wird der Feminismus gerade totgesagt, zum Zombie und Auslaufmodell erklärt. Sind da Vampire im Dienste des Patriarchats unterwegs?
»böse miene zum bösen spiel oder wie man vampire tötet« hat fünf Vorschläge parat, wie Vampire zu erlegen sind. Jeder Vorschlag ist übertitelt von einer verballhornten Redensart. »je später der abend, desto schöner der vampir!« oder »müßiggang ist aller vampire anfang!« Die Rezepte genügen sich als solche, haben Unterhaltungswert und nichts Höheres im Sinn, außer darauf hinzuweisen, dass weibliche Vampire natürlich gänzlich anders zu behandeln sind als männliche Vampire. Selbst der Satz »der schnitt an den eiern aber muß gegen den boden zugekehrt sein«, führt nichts dialektisch Böses im Schilde. Oder etwa doch?
Heidi Pataki formulierte messerscharf und hatte einen ganzen Messerblock an Artikulationsweisen zur Verfügung. Die feine Klinge führte sie ebenso souverän, wie sie es verstand, den Schnitzelklopfer zu schwingen. Denn in Österreich braucht es mitunter einen Schnitzelklopfer, um sich Gehör zu verschaffen. Österreich braucht immer wieder ein paar aufs Dach. Heidi Pataki teilte wunderbare Tachteln aus, in Gedicht- und Essayform. »Der Vorgang der Verdichtung im Gedicht ist ein gewaltsamer, ein Gewalt-Akt«, schreibt Heidi Pataki in »Geduldspiel oder Strich durch den Wirt« (in: Contrapost. Über Sprache, Kunst und Eros. Otto Müller Verlag, 2001).
»Strich durch den Wirt« ist freilich auch ein Titel, der neugierig macht auf mehr. Und das will dieser Blog-Beitrag: neugierig machen auf mehr Heidi Pataki. An dieser Stelle die Erklärung, wie es zu diesem Titel kommt, am 18. September um 19 Uhr dann mehr aus unterschiedlichen Perspektiven. Hier die Erklärung: »Dort, im Gedicht, kann ich der Sprache einen Strich durch die Rechnung machen; doch sie – mein Wirt – hat ihre Rechnung ohne mich gemacht: Strich durch den Wirt!«
zum Nachlesen: Der Hammer 125 zum Autorenprojekt Retrogranden aufgefrischt