blog
Über Hüttengaudi, schöne Monster und Cyborgs
Zu Barbi Marković: Minihorror (Residenz, 2023):
Hüttengaudi
Zu einer Party eingeladen zu sein, ist eine nette Geschichte, doch die Gefahren, die damit einhergehen, sind nicht zu unterschätzen. So geht es Slicki, die dieses Wochenende auf eine Fete eingeladen wird und sich grässlichen Fragen stellen muss. Da wäre zuerst einmal die Frage, um wie viel Uhr man denn am besten ankommt. Ist Slicki zu früh da, muss sie womöglich noch mit dem Herrichten des Bier-Pong-Tisches helfen und vielleicht sogar die klebenden Reste von der letzten Nutzung abschrubben. Wenn sie absichtlich zu spät kommt, muss sie sich wie in einer Parkour-Halle über die Schnapsleichen winden, um an ihr Ziel zu kommen. Das Ziel wäre in diesem Fall, den Gastgeber zu finden, der wahrscheinlich selbst seine eigene Party verlassen hat. Es gilt also den besten Zeitpunkt zwischen unangenehmem Small Talk im Vorzimmer und grölendem Karaoke-Singen von Justin Bieber-Hits zu finden. Soll sie jetzt alleine kommen oder jemanden ihrer Freunde mitnehmen? Welches Gastgeschenk bringt sie? Einen Wein oder ein paar lose Dosen Schwechater, die mit ihrem pickigen, nussigen Geschmack aber wohl eher für Unbehagen sorgen würden.
Der Abend der Party … Slicki kommt zu einer angemessenen Uhrzeit an, sie ist nicht zu spät und nicht zu früh. Sie hat ihren Freund Bricki im Gepäck.
Die Party lebt, die Menschen im Eingangsbereich und der Gastgeber begrüßen sie herzlich zur Party des Jahres.
Doch plötzlich … Als sie das Wohnzimmer betritt, muss sie mit Entsetzen feststellen, dass über der pompösen braunen Ledercouch an der Wand Skier und die dazugehörigen Skistöcke montiert sind. Überall hängen rot-weiß-rote Österreichfahnen und statt einem gemütlichen Esstisch gibt es aufklappbare Bierzeltbänke und Tische, auf denen schirche Plastiktücher mit rotem Karomuster kleben. Überall hängen Fotos von Andreas Gabalier, Hansi Hinterseer und Andi Borg. Aus den Subwoofern schallert DJ Ötzis »Hey Baby« und die besoffene Menge grölt laut »UH-AH«. Slicki muss aufpassen, dass sie nicht auf Reste von Röstzwiebeln, Panierbrösel und Vanillesauce tritt. Wo sie hier gelandet ist, weiß sie selbst nicht, denn es sollte ja eigentlich ein netter Abend unter Bekannten werden. Diese schlabbern sie jetzt aber von der Seite an und nötigen sie, erfreut über ihre Ankunft, irgendetwas von Nik P., Howard Carpendale oder den Nockis auf der Karaoke-Maschine zu singen. Bricki bekommt fast einen Herzkasperl, da er Österreich zwar sehr liebt, aber oft vergisst, dass außerhalb von Wien auch noch Menschen leben. Er stürmt in die Küche, um sich zu erholen. Slicki steht überfordert vor der Karaokemaschine, es wäre doch so schön gewesen, hätte sie »Baby« von Justin Bieber singen können. Nach einer kurzen Zeit, in der Slicki versucht, sich elegant aus ihrer misslichen Situation zu winden, rast Bricki zurück in die Partybude und ergreift das Ruder. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass er in der Küche zwei Gösser Märzen und drei Kurze schnabuliert hat, um dem Kulturschock standzuhalten oder immerhin Paroli zu bieten. Er greift nach dem Mikrofon und fängt an zu trällern. Seine rauchige und berührende Stimme lässt den ganzen Raum die Hände heben und alle schwanken im Takt mit zu Wolfgang Petrys Superhit »Verlieben, verloren, vergessen, verzeihn«. Handykameras werden gezückt, Feuerzeuge leuchten – die Stimmung ist erhellend und voller Hoffnung.
Am nächsten Morgen … Brickis Konzerteinlage hat es in die Social Media geschafft und er ist jetzt ein Superstar á la Melissa Naschenweng, aber nicht wegen seiner tollen Performance, die er letzten Abend geliefert hat, sondern weil sie sich im Nachhinein als grässlich herausgestellt hat und sich alle über ihn lustig machen. Aber das alles ist irgendwie immer noch besser, als gar nicht dabei gewesen zu sein. Hüttengaudi eben.
Jakob Morocutti
Wohlfühlen
Miki und Mini sind bei Freunden eingeladen. Leider sind sie zu spät dran, weil Miki sein T-Shirt vor dem Losgehen dreimal umziehen musste, um einen Status des Wohlfühlens zu erreichen, mit dem er zufrieden ist.
Als Miki und Mini sich zu Fuß auf den kurzen Weg zu ihren Freunden machen, fühlt Miki sich gut und nimmt fröhlich Minis Hand. Er freut sich auf das Essen und darauf, selbstbewusste Gespräche mit freundlichen Menschen zu führen. Miki und Mini stehen an der Tür der Freunde und läuten an. Beim Übertreten der Türschwelle fällt Miki ein plötzlicher Temperaturabfall unangenehm auf. Schnell zieht er also seine schwarze Weste, die er soeben in der Garderobe ausgezogen hat, wieder über sein brandneues Led Zeppelin-T-Shirt.
Dann kommt das Händeschütteln. Miki hat bemerkt, dass die Hände einiger Freunde aus Eis bestehen, wahrscheinlich von der kalten Luft im Zimmer. Nun fürchtet Miki sich vor der Berührung, gibt aber trotzdem die Hand. Zuerst ist keine Veränderung zu spüren, als Miki seine Hand jedoch zurücknimmt, zieht es ihm die Haut von den Fingern und sie bleibt an denen des Freundes kleben. Dann der Augenkontakt. Sofort wird Miki sich seines Gesichtes schmerzhaft bewusst und verspürt bald ein merkwürdiges Ziehen an seiner Nase. Verwirrt muss Miki zusehen, wie zuerst die Nase von den Blicken der Freunde eingesogen wird, dann seine Ohren, sein T-Shirt und die Haut darunter. Peinlich berührt versucht Miki die Situation zu retten und redet über das Wetter. Schließlich muss sich aber auch die schwarze Weste dem Sog hingeben und Miki steht plötzlich nackt im Vorzimmer. Er fragt sich wie lange er es hier noch aushalten kann und erntet nette Blicke.
Jana Zeiler
E-Mails
Mini hasst E-Mails. Sie schreibt sie nicht gerne. Noch weniger mag sie es, welche lesen oder gar beantworten zu müssen. Oft stapeln sich die digitalen Nachrichten wie der Bioabfall in dem längst vergessen Kompost im Hinterhof. Im Endeffekt führen entweder die Schuldgefühle von Mini oder die durchgehenden Erinnerungen von Miki dazu, dass sie die Nachrichtenleichen doch noch befreit und eine Rückmeldung schickt.
Nun, nicht so in dieser Geschichte. Doch auch hier hat sich wieder ein beträchtlicher Berg an Mails angesammelt. Werbung, Geldscams, Pyramidenspiele und Todesanzeigen lassen sich in Minis Postfach finden. Inzwischen haben sich die Nachrichten selbst begonnen nach Datum zu ordnen. 2013 und 2025 sind keine sonderlich kompatiblen Altersgruppen. Mini stört das alles nicht, zumindest sagt sie sich das selbst, während sie gekonnt alle Schuldgefühle mit einem »Ich kümmre mich bestimmt später drum« vertröstet. Noch ist sie optimistisch, dass der Motivationsschub bald kommt. Aber mit jedem verstrichenen Tag, an dem sie ihre Mailbox weiterhin ignoriert, steigt Minis Angst. Ihre Motivation aber nicht. Sogar Mikis »Setz dich doch einfach dran«, hilft ihr kein Stück.
Der Berg wächst und beginnt zu verrotten. Ein fauler Gestank, der jeden Tag noch ätzender wird, geht stetig von ihrem Laptop aus. Kleine Maden und Würmer kriechen in ihrem Display und aus der Tastatur tritt bei jedem Tastendruck eine grau-braune, schlecht riechende Flüssigkeit aus. Trotzdem hat Mini noch kein einziges E-Mail beantwortet. Jetzt beginnen die Kriechviecher auch noch zu flüstern. Ständig. Ohne Pause. »Kümmre dich um deine Mails. Sie wollen in den Himmel.« Auch Miki macht sich jetzt Sorgen. Mini wirkt noch gestresster als sonst, obwohl er nicht gedacht hätte, dass das geht, und seine hochgiftigen Reinigungsmittel verschwinden aus irgendeinem Grund zehn Mal so schnell wie normalerweise. Mini hingegen arbeitet mit aller Kraft gegen alles außer gegen das Problem. Sie trägt durchgehend Ohropax, um die Stimmen nicht zu hören, und tränkt ihren Computer täglich in Mikis Putzchemikalien. Aber vergeblich. Sie glaubt, dass eine Made inzwischen in ihrem Gehirn ist, da sie trotz dreifachem Ohropax ständig die Stimme hört. Der Geruch wird auch immer schlimmer und Mini möchte als letzten Versuch einen Kammerjäger engagieren. Der junge Mann, wahrscheinlich gerade mit der Ausbildung fertig, wirkt heillos überfordert und rät Mini sich einfach ein neues Gerät zu besorgen, bevor er sich mit seinem überteuerten Stundenlohn vom Acker macht.
Nun ist Mini am Ende ihrer Kräfte angekommen und beschließt, Selbstversorgerin in den Alpen zu werden. Verbindung mit der Natur anstatt dem Netz, hat die Broschüre gesagt. Sie verabschiedet sich von Miki und zieht los, um sich mit ihrer neuen Maden-Freundin, die sie Maggy genannt hat, fern ab aller modernen Technologie, auf den Großglockner abzusetzen.
Anna Wallnig
Kamera und Tränen laufen
Zusammenfassung im Stil der weiteren Szenarien: Mini bricht in einem Fernsehinterview grundlos in Tränen aus. Sie hat keine Ahnung warum. Das Publikum auch nicht.
Mini wird von einem Kultursender angerufen. Sie soll im Rahmen einer Literatursendung ein Fernsehinterview zu ihrem Roman geben, der bald erscheint. Mini freut sich sehr über das Angebot, es ist ihr erstes Mal live vor der Kamera. Deshalb bereitet sie sich gut vor und bittet Miki ihr alle auch nur irgendwie möglichen Fragen zu ihrem Werk zu stellen.
Am Tag des Interviews … Mini wird von Sonnenstahlen geweckt. Das Wetter verspricht einen wundervollen Tag und Mini macht sich voller Energie auf den Weg ins Studio. Dort wird sie höflich begrüßt und durch das Gebäude geführt. Das Ende der Tour ist ein kleiner Raum direkt neben dem Studio. Hier hat sie eine halbe Stunde Zeit, sich vorzubereiten, während eine andere Autorin gerade interviewt wird. Mini setzt sich auf einen der Sessel aus grauem Plastik und überschlägt die Beine. Dann nimmt sie das letzte Mal ihre Notizen aus der Tasche und überfliegt diese. Immer wieder schaut sie auf, zu dem Bildschirm, der ihr das Innere des Studios zeigt und sieht ihre Kollegin reden. Als sie ein letztes Mal ihre Stichworte zu den Charakter-Beziehungen in ihrem Buch liest, verschwimmt das Bild. Die blaue Tinte verrinnt und bildet mit dem Blatt zusammen Nebelschwaden. Ganz plötzlich füllen sich Minis Augen mit Wasser, eine Träne rinnt langsam und warm ihr Gesicht hinunter. Mini ist überfordert und überrascht. Mini hat noch nie wegen ihrer eigenen Geschichten geweint. Sie fand das immer lächerlich. Mini hat doch nicht vor, sich von der eigenen Kreativität brechen zu lassen. Doch jetzt rinnen ihr die Tränen übers Gesicht, verwischen den Kajal und lösen die Wimperntusche auf. Panik macht sich breit in Mini. Sie fühlt sich nicht mehr stark und für jede Frage gewappnet. Eher hat sie Angst, dort drinnen gleich aufgefressen zu werden, vor den Augen vieler Zuschauer*innen. Sie stellt sich eine Kamera vor, die immer näherkommt, das Objektiv wird zum aufgerissenen Maul …
Mini ist aber trotz der vielen Tränen nicht traurig. Für die Ströme, die über ihr Gesicht rinnen, gibt es keinen ihr bekannten Grund. Auch Angst ist es keine. »Reiß dich zusammen!«, murmelt sie, nimmt einen Spiegel hervor und mustert ihr Spiegelbild. Sie versucht, das Make-Up zu retten und lächelt sich verkrampft zu. Da geht die Tür auf und da stehen eine zufriedene fremde Autorin und ein breit lächelnder Moderator. Das Lächeln verschwindet jedoch schnell und wird zu einem besorgten, mitleidigen Blick. »Haben Sie Angst? Fühlen Sie sich doch nicht bereit, vor die Kamera zu treten?«, hört Mini. Doch sie schüttelt nur viel zu schnell den Kopf, springt auf und stolpert hinter dem Moderator ins Studio. Mit tiefem Aus- und Einatmen versucht Mini sich zu beruhigen. Auf einem Bildschirm zählt eine Uhr die Sekunden hinunter, dann startet die Kamera. Mini wird vorgestellt und soll ihr Buch in die Kamera halten. Sie soll ein paar Worte darüber sagen. Minis Stimme ist zittrig und klingt angeschlagen, ihre Sätze sind kurz und schwammig. Der Moderator versucht schnell zu den Fragen zu kommen, in der Hoffnung, sie würden Mini Halt geben. Doch das tun sie nicht. Mini macht den Mund auf, Mini will antworten, doch heraus kommt ein jämmerliches Schluchzen. In ihrem vernebelten Hirn schweifen die Gedanken ab, spinnen jetzt plötzlich Horror-Szenarien und schicken ihr düsterere Botschaften aus der Vergangenheit. Wieder verschwimmt das Bild und die Tränen laufen. Sind schneller als Athlet*innen beim Marathon. Mini schafft es nicht, sich ihnen in den Weg zu werfen. Sie wendet sich wortlos vom Moderator ab, um sich zu fassen. Sie schafft es nicht. Vor laufenden Kameras lässt sie den Kopf fallen und vergräbt das Gesicht in den Händen. Mini hat keine Ahnung, warum sie weint. Mini ist den Blicken des Moderators und der grimmigen Kamera ausgesetzt. Mini ist den Blicken der Zuschauenden ausgesetzt. Es ist erbärmlich. Der vollkommen überforderte Moderator versucht sie mit aufgesetztem Lächeln aus dem Bild zu schieben und bricht mit entschuldigenden Worten das Interview ab. Mini verlässt den Raum. Doch die Aufzeichnungen werden noch für Spott sorgen. Bereits zwei Stunden später kursieren auf Facebook und Instagram Bilder einer heulenden Mini im Fernsehstudio.
Nach dem Interview: Als die Schallschutztür des Studios hinter Mini ins Schloss fällt, beginnt sie zu lachen. Die Tränen trocknen und auf ihren Lippen liegt ein Lächeln. Es verweilt dort, als wäre es nie weggewesen.
Christina Lier
Minis Angst
Mini ist am Heimweg. Sie hat einen anstrengenden Tag hinter sich, denn schon wieder denken alle, dass sie, Mini, nichts draufhat. Doch sie weiß, sie darf sich nicht zu sehr ärgern, denn das Schlimmste am Tag kommt noch. Schon beim Gedanken daran, läuft ihr ein Schauer über den Rücken.
Es ist dunkel in den Straßen, die zu ihrem Wohnhaus führen. Sie hofft, dass heute keine Männer unterwegs sind. Mini hat keinen Bock, darauf zu achten, wem sie in die Augen schaut und wem nicht. Wenn noch einmal ein Mann ein Lächeln falsch versteht, rastet sie aus.
Sie freut sich auf ihre Wohnung. Dort wartet Miki. Leider muss sie davor noch durchs Stiegenhaus.
Mini steht vor der Haustür. Sie ist schwer und alt. Mini muss sich überwinden sie aufzusperren. Drinnen ist es noch dunkler als draußen. Aber Mini dreht kein Licht auf. Sie will sich nicht von der Angst vor der Dunkelheit beherrschen lassen.
Mini ist überzeugt davon, dass in ihrem Stiegenhaus Monster leben. Und nein, sie meint mit Monstern diesmal keine Männer. Das Stiegenhaus hat zu viele Nischen und Ecken, als dass sich dort keine Ungeheuer versteckten.
Jedes Mal, nachdem sie sicher ist, dass ihre Fantasie ihr einen Streich gespielt hat – es gibt keine Monster –, hört sie Geräusche oder sieht Schatten, die sie vom Gegenteil überzeugen. »Reiß dich zusammen«, sagt Mini sich selbst. Ihr Haus darf keinen Lift haben. Ihre Hände zittern schon beim Gedanken an das Stiegen steigen. Trotzdem beginnt sie den Aufstieg.
Währenddessen in Miki und Minis Wohnung im vierten Stock … Miki richtet das Abendessen. Er weiß nichts von Minis Ängsten und wird nie etwas davon erfahren. Doch jeder weiß, er würde sich Vorwürfe machen, dass er Mini nicht geholfen hat.
Im Stiegenhaus: In der Dunkelheit sieht Mini etwas aufblitzen. Sie legt einen Zahn zu und lässt das erste Stockwerk hinter sich.
Die ganze Zeit fühlt sie sich verfolgt. Als würde ein Monster hinter ihr her sein. Wenn sie ihre Augen schließt, spürt sie sogar seinen kalten Atem. Mini greift, ohne sich umzudrehen, nach hinten, um sich zu vergewissern, dass dort niemand steht. Doch anstatt Leere, finden ihre Finger Fleisch. Ihre Hand wird nass. Sofort zieht Mini sie zurück. Doch es macht keinen Unterschied mehr. Ihr Oberkörper will sich umdrehen und dem Schrecken ins Auge blicken, während ihre Beine getrieben von ihrem Instinkt losrennen. Wie jeder andere es auch tun würde, fällt Mini hin. Ihr Rücken berührt die Stiegen. Jetzt starrt sie direkt in das Gesicht des Monsters. Es ist wunderschön. Es macht Mini Angst.
Mini robbt immer noch auf ihrem Rücken die Stufen hinauf. »Lass mich in Ruhe«, schreit sie. Ihre Stimme ist zittrig. Doch das Monster hört nicht auf sie. Es kommt ihr immer näher.
Mini rappelt sich endlich auf. Sie fängt an zu rennen. Doch aus einer Ecke kommt ein weiteres Monster. Sie schreit vor Angst. Von oben kommen zwei genauso schöne Monster. Sie sieht keinen Ausweg mehr. Sie greift in ihre Jackentasche, um etwas aufzutreiben, womit sie sich verteidigen kann. Alles, was sie findet, ist ihr Schlüssel. Ihre Hand umschließt ihn wie ein Messer. Als das erste Monster nah genug ist, sticht sie in sein Auge. Es spritzt lila Blut, auch wenn Mini die Farbe nicht erkennen kann, da es zu dunkel dafür ist. Sie stößt ein weiteres Monster zur Seite und rennt weiter.
Im nächsten Stock rennt sie direkt auf ihre Wohnungstür zu. Während sie sich gestresst umschaut, sperrt sie die Tür auf. Sie schafft es genau rechtzeitig.
Ein Monster streckt noch einen Finger durch die Tür, bevor sie sie schließen kann. Doch Mini achtet nicht darauf. Der Finger fällt ab, als sie die Tür mit aller Kraft zuschlägt. Erleichtert sinkt sie auf den Boden. Doch als sie sich umschaut, realisiert sie, dass sie nicht zu Hause ist. Ein Stock darüber: Miki stellt gerade die Teller auf den Tisch.
Elsa Osanna
Mini und Miki werden Ww
Miniiiiii Mikiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Iiiiiiii Iiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Niiiiiii Kiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Iiiiiiiii Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
Wirrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrddddddddd Wwwwww?
Mini öffnet ihren Kleiderschrank und sieht ihre Kleider an. Nebenan steht auch ein Schrank, in dem sie ihre Gesichter aufbewahrt. Ihre Gesichter, die sie jedes Mal tauschen muss, wenn ihr heiß oder kalt wird, denn sie hat keine Emotionen. Sie tut das, was alle anderen auch tun. Streng schauen. Keine Emotionen, sondern nur Wut und Hass. Sie lacht, wenn auch die anderen lachen, obwohl sie selbst nicht versteht, was daran so lustig ist.
Sie nimmt ein Gesicht aus dem Schrank heraus. Ein Gesicht, das lächelt. Mini klebt dieses Gesicht an ihr Gesicht, aber es möchte an ihrem Gesicht einfach nicht halten. Sie versucht es noch einmal, »Ich habe das geschafft«, sagt sie, obwohl sie niemand hört und sieht. Mini wählt ein rotes Kleid und zieht es an. Wohin muss ich eigentlich gehen? Café oder Bar? Mini entscheidet, in die Bar zu gehen. Miki soll mich finden. Der ist doch nicht dumm. Er weiß ja, dass ich gerne trinke und Spaß haben möchte.
Mini muss ein Fahrticket kaufen. Sie muss das. Nein. Ja. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Jahreskarte habe. Habe ich? Oder hat der Miki eine Jahreskarte? Stopp!
Mini geht los, sie bleibt mitten auf der Straße stehen. Die Autos überfahren sie. Aber sie fühlt gar nichts.
Mini ist innerlich tot.
Mini steht wieder auf und geht zu Fuß bis zur Straßenbahn Linie 1. Mini steht beim Prater, aber sie muss in die Innere Stadt, genauer gesagt in eine Bar. Mini hasst die meisten Menschen, deshalb beschließt sie zu Fuß bis zum Volkstheater zu gehen. Drei Komma sechs Kilometer. Sehr wenig.
Mini sieht die Straßenbahn Linie 1 und rennt so schnell sie kann. Mini fährt wieder zum Prater zurück. Vom Prater bis zum Stefan-Fadinger-Platz. Und dasselbe fünfmal, bis ihr endlich langweilig wird und sie Hunger bekommt.
Bar, Cafés, Restaurants. Da sind die Menschen. Und die Menschen sind fürchterlich. Mini kann die Gesellschaft nicht ertragen, sie lächelt immer noch. Einfach so. Ohne Grund. Mini spricht niemanden an. Niemanden. Niemanden. Niemanden. Niemanden.
Mini kehrt zum Volkstheater zurück. Sie geht in das Café S. Ich wollte doch in die Bar gehen. Wurscht. Gehe ich halt in ein Café. Mini bestellt eine Melange und ein Kipferl. Schmeckt beides fürchterlich, wie die Menschen, sagt sie laut …
FFFFFFFÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜÜRRRRRCCCHHHTTTTTTTEERRRRRRLLLLLLIIIIIICCCCHHH
Mini darf eigentlich keine Melange trinken, da diese sehr heiß und sehr bitter ist. Sie trinkt fünf Melange und zwei große Iced Matcha Latte. Mein Gesicht, meine Emotion, mein Gesicht, meine Emotion …
Miki kommt zu ihr und setzt sich neben sie. Miki ist nicht begeistert von dem, was da gerade passiert.
»Mini, Mini, warum hast du zehn Getränke getrunken?«
»Miki, Miki, Mikilein, Mikichen, Mäuschen, Marmelade, Maler, Minze«, sagt Mini zu Miki.
Miki sitzt und schaut Mini an.
»MINIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIetttaaaaaaa!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!, WARUM HAST DU SO VIEL GETRUNKEN?«, fragt Miki schon das fünfte Mal.
Mini hört sehr schlecht und steht auf, sie möchte nach draußen gehen. Sie steht auf und ihr Gesicht, ihre Emotion, rutscht aus. Es fällt herunter.
Miki ist sehr gespannt. Mini ist blind. Er kennt Mini zu gut, deshalb bleibt er ruhig. Kann er das? Sicher? Bist du dir sicher, Miki? Miki, bist du dir sicher? Wer flüstert wieder in meine Ohren, beschwert sich Miki.
Mini hat keine Emotionen mehr. Gar keine mehr. Ihre Haut ist so dünn. So dünn wie eine Feder. Miki sucht ein anderes Gesicht für Mini aus.
»OOOOOOO shit, Ich habe nur die Emotion Aggression«, schreit Miki zu Mini. Miki setzt die Emotion »Aggression« auf Minis Gesicht. Q§w3w4dd5efvdezdbz7d8hnd2iocqunefkiewchnjwnDIXHNJFNEIUWJOMknMINI WIRD GRÖSSER. GRÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖÖSSSSSSSSSSSSSEEEEEEERRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR
»мики. я тебя ненавижу. ты тупой!«, sagt die Mini zur Miki.
Miki versteht kein Wort. Ist das Serbisch? Ist das Türkisch? Ist das Spanisch? Ist das Albanisch? Ist das Kroatisch? Ist das Slowenisch?
Keine Ahnung. Wurscht.
Wurscht.
Wurscht.
Wurscht.
Wurscht.
Wurscht.
Wurscht. Wurscht.
Wurscht. Wurscht.
Wurscht.
Miki sucht wieder ein Gesicht für Mini heraus. Irgendetwas. Einfach irgendetwas. Mini schaut komisch aus. Sie ist wieder klein, klein wie eine Maus.
#Himmel und Hölle#
Mini und Miki schauen sich an. Sie befinden sich an einem Ort, wo Gut und Böse sich treffen. Mini kann jetzt fliegen. Eine Maus fliegt. Ja, sie fliegt. Du hast alles richtig verstanden. Alles. Alles. Alles. Alles. ABER: außer Miki sieht Mini niemand. Warum siehst du sie? Wer bist du? Warum liest du diese Geschichte, obwohl dir das Lesen keine Freude bereitet?
Mini ist durchsichtig. Mini kann fliegen. Mini ist glücklich. Mini sitzt im Café S…… und es ist zwölf Uhr. Der Vollmond schaut Mini an.
Vollmond, nein, oder? Vollmond. Eine Wiederkehr von Wölfen … Mini verwandelt sich in einen Wolf und isst alle Menschen auf, die gestorben und lebendig sind. Lebendige Menschen.
Gratulation, du hast überlebt. Alle anderen sind tot. TOT tot.
Anmerkungen zu meiner Geschichte:
»мики.я тебя ненавижу.ты тупой« bedeutet auf Deutsch: »Miki. Ich hasse dich. Du bist dumm.« Mini sagt das auf Russisch, obwohl sie das nicht kann. Sie lernt Russisch zusätzlich als dritte Fremdsprache.
Aus den Wörtern Wurscht soll ein Buchstabe entstehen.
Aziza Rasulova
Zu Clemens J. Setz: Der Trost runder Dinge (Suhrkamp 2019):
*,<>}]
der cyborg im amazonas urwald
hat gestern einen baum gerodet
programmiert wurde er dafür nicht
davor standen grüne riesen dicht an dicht
versperrten den fliegenden drohnenjaguaren die sicht
moder hat sich breit gemacht
als wir lebenden zu schimmeln begannen
und kurzerhand abgetrennte körperglieder
durch metallene rohre und kabel ersetzten
dystopische utopie leben
jetzt haben alle menschen keine fehler
außer das programm spinnt mal wieder
die software bugs werden dann behoben
dank den kleinen krabbelnden elektrokäfern
gezogen durch den sog der datenbank
wurden alle dokumente der alten generationen gespeichert
in einmachgläsern regelkonform verwahrt
das menschsein ausgezeichnet
durch überlebenswillen mit kompromiss
überdauert sogar das ewige nichts
harte schale gar kein kern
was man nicht alles tun würde
um der angst des unwissens aus dem weg zu gehen
aber wer braucht schon erdöl betriebene friedenstauben
oder einen androiden fürs eigenheim
wenn genuss nicht ewig bleibt
Jakob Morocutti
Dialog über den Trost runder Dinge
(Seufzend) Alles fühlt sich so ... leer an. So sinnlos.
Sinn ist überbewertet. Schau mich an.
Du bist kein Mensch. Was weißt du schon von Sinn?
Alles, was ich wissen muss. Sinn ist ein Sonnenbad auf einer Couch. Sinn ist ein zugeworfener Deckel einer Schachtel.
(Bitter lachend) Eine Schachtel soll mich trösten?
Nicht die Schachtel. Aber die Art, wie sie dich ablenkt. Wie sie dich zwingt, dich mit ihren Rändern zu beschäftigen. Ränder sind wichtig. Sie halten Dinge zusammen.
(Ängstlich) Du sprichst in Rätseln. Ich glaube die Ränder erdrücken mich.
(Leise schnurrend) Trost ist ein Zustand. Keine Antwort. Wenn du die Ränder nicht magst, dann versuch doch einfach mal aus der Schachtel herauszusteigen. Betrachte die Ränder von außen. Vielleicht kommen sie dir dann weniger furchteinflößend vor.
Wieso weißt du das alles? Wenn du die meiste Zeit doch nur zusammengerollt auf diesem Kissen verbringst.
Ich bewache hier nur meinen Geist. Ihr Menschen denkt immer, ihr müsstet ihn suchen. Ihm hinterherrennen, ihn in Büchern finden oder in weit weit entfernten Gegenden. Dabei ist er doch genau hier. Vor euren Füßen, hinter euren Hälsen und Ohren und in eurem Herzen. (Schließt die Augen) Vielleicht hast du Recht.
(Streckt ihre Pfoten und gähnt) Natürlich habe ich recht. Aber denk nicht zu viel darüber nach. Das stört den Geist. Und wenn es immer noch nicht klappt, werde ich einfach dein Trost sein. Vertrau mir.
Jana Zeiler
Wann bin ich ein Mensch?
Ein Mensch, wenn ich wie die anderen aussehe?
Ein Mensch, wenn ich keine Gefühle habe?
Ein Mensch, wenn ich gar nicht schön aussehe?
Warum schauen mich die Menschen so an?
Warum denken Sie, ich sei nicht so wie sie sind?
Wer bin ich?
Wer kann es mir sagen?
Die Menschen oder ich selbst?
Ich bin so wie ich bin
Aziza Rasulova