blog

Von Herzwurzeln, Kopfgeburten, Wundergeckos und Pflanzenikonen

Blog, 7. Dezember 2021
Am 14. Dezember findet in der Alten Schmiede ein Abend mit Gedichtbänden statt, die in besonderer Auseinandersetzung mit Natur und bildender Kunst entstanden sind. Sepp Mall findet über das Naturgedicht zum Zwischenmenschlichen, Erika Wimmer Mazohl tritt in einen lyrischen Dialog mit dem Südtiroler Künstler Markus Vallazza und dessen Skizzenheften zu Dante. Astrid Nischkauer bewegt sich mit Stift und Notizbuch durch die Wiener Museumslandschaft (u.a. Natur- und Kunsthistorisches Museum) und Martin Kubaczek nähert sich poetisch einer Auswahl der Pflanzenporträts, die die Künstlerin Rosemarie Hebenstreit als Scherenschnitte gefertigt hat. Für den Blog geben alle vier einen Einblick in ihre Buchprojekte.


In den Wäldern (ruckedigu)

Die Holzfäller kommen am Morgn
wo alles noch atmet / in langen
Zügen
: die Motorsägen geschultert Ge-
wehren gleich / oder Sensen

Vorsichtig bewegen sie sich
unter den hängenden Ästen
die erste Fichte / wird angesprochen
behutsam gestreichelt
: man redet ihr gut zu

Die Holzfäller / kommen am Morgen
und gehen am Abend
: müde zu ihren Frauen zurück
mit blutenden Schuhn


Krüppelholz grauweiß
(spät für Klaus Menapace)

Jetzt lernen / das Kleine zu sehn
die Vogeltritte
die Risse im Stirnholz
seine Farbe / die sich abhebt im
Schnee
Und irgendwann verstehn
: die Kälte wird bleiben / weit
über diesen Jänner hinaus


Text & Fotos © Sepp Mall




[ätzend]
für markus vallazza

ätz mich ich bin deine platte
greif mich an und mach dir
ein bild all die tierchen im
kopf lass sie fallen lass sie
fallen auf mich und ätz!

du ätzt und ich mach dich
verrückt denn es kratzt dich am
kinn und du kratzt ziehst die linien
im richtigen schwung wie die
ameise tanzt tanzst auch du

hinter deinen stirnfalten krabbeln
die ideen wie lasius nigra
die formica paralugubris
lässt die schuppen fallen und gibt
dir neue texturen ein

denn du hast etwas auf der
platte deine krausen gedanken
ziehn mit der säure hinein
ins bild erst der druck lässt
die ameisen los

tout est pareil [grübelnd]

in kapitaler spirallethargie
senkt sie blick für blick
und behauptet das haupt
des wissens den stein
des weisen

herausgefordert und schaut
darüber hinaus oder
grübelnd voraus
an der nasenspitze vorbei
doch wie dante spiralig hinab

und denkt s glaubt s
oder schreibt s

tout est pareil et rien
n’est perdu

Text: © Erika Wimmer Mazohl

Abbildungen: Aus den Skizzenheften zum Inferno, © Nachlass Markus Vallazza



die ägyptischen Säulen
haben sie kurzerhand
beim Bau des Museums
ins Gebäude eingebaut und
den Sarkophag musste man
durchs Fenster herein heben
weil er zu breit für die Türen war
verschieben darf man ihn nun nicht mehr
denn direkt unter ihm befindet sich eine
Mauer damit er nicht durch den Boden bricht

einen Schritt zurücktreten
den Blick nicht auf den
Schachbrettmusterboden
die Landkarte das im Entstehen
begriffene Gemälde oder den
Luster richten mit dem das Gemälde
tatsächlich seinen Anfang nahm
und nicht mit dem Haarschmuck
wie er uns glauben machen will
einen Schritt zurücktreten
den Blick aufs Ganze richten
den Rahmen bemerken die Wand
dahinter und die Absperrung davor
einen Schritt zurücktreten und
dabei mir selbst gewahr werden
wie ich über das Bild schreibend
vor dem Bild stehe etwas seitlich
hinter dem sich selbst beim Malen
gemalt habenden Maler

Text und Zeichnungen: © Astrid Nischkauer




Mohnmehlbestäubt, dicht
Lippe und Lappen, schneckenhaft kriecht
getigerte Zacke, kleiner Drache, Reptil
fliegt um Blütendolden, wiegt
tintige Schwärze, Papier mit Milch
gesättigt, sämig, flüssig und wild
oder mild, Sehne und Sägezähne
Papiere, an Fäden geknüpft
mit den Zeichen für daifuku: großes Glück
kleines Glück - mittleres Glück -
am Lichterfest (und bunte Lampions
siehst du sie nicht?) der dumpfe
Trommelklang und nachts im Himmel
dunkel zuckend die Fledermausschrift

Roll dich ein, roll dich aus
heb dein Köpfchen, streck dich aus
schau da hin, entwickle dich
spitz naseweis die Sprossen
lass dich küssen, kosen, kosten
Quirl, Teesieb, Löffelstiel
weiß nicht, was ich will, bin
Schirm oder Fächer, öffne mich
Finger, Fäustchen, jetzt für dich
Pfeil seitwärts, lieb Gesicht
richte dich auf, behüte mich
in dieser Welt, so fürchterlich

Text: © Martin Kubaczek
Scherenschnitte und Vorzeichnungen: © Rosemarie Hebenstreit

april 2024
mai 2024
juni 2024
juli 2024