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Hör!Spiel! – Klaus Schöning über frühe Hörstücke von Friederike Mayröcker

Blog, 28. Februar 2022
Das Hörspielschaffen von Friederike Mayröcker war ab Mitte der 80er Jahre von einer intensiven künstlerischen Zusammenarbeit mit dem Regisseur Klaus Schöning geprägt. Anlässlich des Hörspielporträts von Friederike Mayröcker am 6. März & 7. März ist hier ein Essay von Schöning nachzulesen, der die Offenheit und Tiefe der Auseinandersetzung mit Hörspiel als Kunstform und deren Ausprägung bei Friederike Mayröcker im Speziellen deutlich macht.



KLAUS SCHÖNING

IN FLANDERN, FELDERN, NAHE PICARDIE
Vermutungen über die akustische Poesie Friederike Mayröckers

1983


Um über Hörspiele schreiben zu können – und sei es auch nur in Vermutungen –, scheint es ratsam, sie auch vorher zu hören, – obwohl das Gehörte zuweilen eine schmerzliche Diskrepanz zwischen Textpotential und akustischer Realisation deutlich werden läßt.

Der Tod und das Mädchen ist das bisher letzte Hörspiel von Friederike Mayröcker, das wir im Westdeutschen Rundfunk Köln produziert und im Februar 1977 gesendet haben. Zur Erstsendung hatte es einen erläuternden Essay gegeben, um den ich Helmut Heißenbüttel gebeten hatte.

Das Hör-Spiel selbst ist wie fast alle Hörspiele der Österreicherin zunächst nur im deutschen Radio produziert und gesendet worden. In Der Tod und das Mädchen geht es um ein gleichsam imaginäres Gespräch zwischen einer Frau und einem Mann. Welchem Mann, welcher Frau? Geht es wirklich um ein Gespräch? Sind es nicht Erinnerungsvorgänge in der fiktiven Perspektive eines Nach-Lebens? Ist es ein Monolog in zwei Stimmen? Sicher kein innerer Monolog, wie er vertraut und bekannt ist aus der Tradition der großen inneren Hörspielmonologe.

Ganz allgemein fordert Friederike Mayröcker, daß ihre Hörspiele »akustisch befriedigen«, »in die Nähe des musikalischen Genusses« kommen und dabei eine »ganz bestimmte Reaktion hervorrufen« sollen. »Eine Art Kosmos wird geschaffen, wo alle Elemente einander bekämpfen, solange bis sie zu einem sie zum Erstarren bringenden Überguß von Form und Idee befriedet werden – also Intuition und Intellekt, Berauschung und Nüchternheit, mit Verschiebung des Schwergewichts.« Friederike Mayröcker geht von einem gänzlich unvoreingenommenen Hören aus, das sich auf Mobilisierung und Verknüpfung wieder einläßt, den Hörer zu mitproduzierender Arbeit anregt.

Ein offenes Konzept also, ein scheinbar vages, bescheidenes Angebot an Realisator und Hörer. In dieser Beiläufigkeit und Offenheit liegt die Falle, die sanfte, strenge Kompromißlosigkeit der Friederike Mayröcker. Wenn Text, Schriftliches, wenn Gelesenes die große Reise der Mutation antritt ins andere Medium – ins Akustische, in die Welt des Hörens, dann müssen sie eine neue, eine eigene Qualität erhalten, die nicht mehr nach dem Text fragen läßt. Ein Hörstück muß ein Stück zum Hören sein. Eine Banalität?

Kürzlich las ich, daß auch Wissenschaftler Schwierigkeiten mit den Hörspielen der Friederike Mayröcker haben, weil derzeit nur vier von ihr verfaßte Stereo-Spiele im Druck vorliegen. (Hörspielbuch Schwarmgesang, Berlin 1978). Solange weiterhin Hör-Spiele nur als Lese-Texte qualifiziert werden, wird auch die spärliche Hörspiel-Kritik (einmal/keinmal wöchentlich) ihr Begriffsvokabular aus Literatur oder Theater entnehmen, d. h. vom Gehörten wieder aufs Nicht-Gehörte zurückfallen. Verglichen etwa mit der Alphabetisierung des Filmhandwerks und seiner Ästhetik hat die Begriffsbestimmung einer Grammatik akustischer Literatur, derer, die sich über Hörwerke äußern (so wie der Autor dieser Vermutungen), noch kaum begonnen. Sie ist allerdings auch erst in Ansätzen bei der Beurteilung experimenteller Literatur selbst erkennbar. Zurück zum radikalen Anspruch der Friederike Mayröcker. Dieser zielt nicht nur auf den ganz offenen und ganz genau hörenden Rezipienten, sondern auf den Regisseur, den akustischen Ingenieur ihrer partiturhaften Textgebilde. Sie setzt einen mitschaffenden Partner voraus, der sich gleichermaßen auf der Höhe des von ihr im Text verschlossenen Potentials befindet. Stellt diesen Anspruch nicht jeder Autor an seinen akustischen Realisator?

Die Hörtexte der Friederike Mayröcker haben den Nachteil, daß sie auch innerhalb einer heute offeneren Hörspielästhetik auf wenig Vergleichbares stoßen. Friederike Mayröcker anläßlich der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden: »Alles was zu mir gehört, also vor allem meine Poesie, ist so etwas wie ein Mobile, eine wundervolle von mir gleichermaßen geliebte wie gehaßte Unordnung, die sich ihr Gleichgewicht erhält, solange kein zweiter eine Verlagerung der Schwerpunkte vornimmt.« Verführung gleichzeitig und Herausforderung für jenen Zweiten, den Balanceakt zu wagen innerhalb scheinbar ganz offener Textkonzepte, deren assoziativer Radius durch Transponierung ins Akustische unvorher-hörbare neue Amalgamierungen eingeht, ja im Akustischen erst zu jenem Gebilde werden, in dem Form und Idee befriedet werden.

Verfehlt anzunehmen, es gäbe nur eine mögliche akustische Realisation des Textes, im Gegenteil. Eben darin liegt die Herausforderung, das Abenteuer, die Freiheit der Interpretation, die eingebunden ist in die vorgegebene Weite des Spielraums. Ernst Jandl, der mit Friederike Mayröcker den Drahtseilakt gemeinsamer Hörspielarbeit mit Erfolg unternahm, wies darauf hin, daß Hörspiel und experimenteller Text, beide offen und von ihren Mitteln her definiert sind. »Experimentelle Texte von hoher Komplexität können ohne Veränderung in Hörspiele umsetzbar sein.« Was geschieht mit so offenen experimentellen Texten, wenn sie die Reise der Mutation antreten ins Akustische? Was geschieht mit der Textstruktur, wenn ein Wort so oder so intoniert wird, wenn ein Gespräch so oder so einmontiert wird? Wenn eine Pause so lang oder so kurz ist? Wie kann der Anspruch erfüllt werden, den Schwerpunkt nicht zu verlagern?

Zunächst: das Handwerkszeug des Hörspielmachens müßte erweitert werden. Ebenso die Kenntnis der Dimension experimenteller Texte und offener Konzepte. Weiteres Lernen wäre Voraussetzung.

Der Weg des Schriftstellers zum Hörspielmacher, zum akustischen Ingenieur seiner eigenen Texte, ist eine Antwort auf die Neuartigkeit derartig offener Konzepte. Friederike Mayröcker wird ihre Texte im Studio jedoch nicht realisieren wollen, dies auch nicht ohne weiteres können – anderes als Ernst Jandl, Franz Mon, Mauricio Kagel, Michael Scharang, Ferdinand Kriwet, Gerhard Rühm.

Wenn experimentelle Texte von hoher Komplexität potentielle Hörspiele sind – die bisher zehnjährige Geschichte des Neuen Hörspiels konkretisiert in einigen akustischen Ergebnissen diese Tatsache –, so wären fortan experimenteller Text und Hörspiel miteinander verknüpft, gehörten der gleichen Entwicklung an, bewegten sich im gleichen Spannungsfeld. Versinnlichung experimenteller Texte fände (auch) im Hörspiel statt. Hörspiel findet bisher fast ausschließlich im Massenmedium Radio statt. Hörspiel wird verwaltet. Radio wird verwaltet. ORF ebenso wie ARD. Experimenteller Text – verwaltetes Hörspiel. Auch dies ein Spannungsfeld. Ein Feld für Vermutungen und harte Realitäten.

Multiperspektive, Gleichzeitigkeit sind das Movens der Texte und auch der Hörspieltexte von Friederike Mayröcker. Für die Stellung simultaner Vorgänge eignet sich insbesondere die Stereofonie.

Arie auf tönernen Füszen hat Friederike Mayröcker ein Stereo-Hörspiel genannt (der gleichnamige Prosatext hat nur den Titel gemein). Dieses Hörspiel bezeichnet Grenze und Möglichkeit der Nutzung des stereophonen Raums: Versinnlichung simultan ablaufender Rede. Vergleichbar etwa Franz Mons herzzero-Texten und seiner akustischen Realisation. Gleichzeitig systematische Demontage des traditionellen inneren Monologs im Hörspiel. Damit Herausforderung für das gewohnte Rezeptionsverhalten. Gleichzeitig Beispiel jener Prämisse der Friederike Mayröcker »ein Hörspiel müsse in die Nähe eines musikalischen Genusses kommen«. Musikalität wird hier erreicht durch eine überaus strenge, beinahe mechanische Nutzung einer einmal gefundenen akustischen Grundstruktur. Drei Sprachverläufe, drei Sprechhaltungen einer Stimme, drei deutlich voneinander getrennte Positionen im Hörraum. In dieser kompositorischen Strenge vergleichbar meiner Realisation von Gerhard Rühms Ophelia und die Wörter. Klaus Ramm hatte für unsere Sendung im WDR3-HörSpielStudio einen erläuternden Essay geschrieben. Auch er könnte in unserem Zusammenhang hilfreich sein:

»Friederike Mayröcker benutzt diese subjektive Technik des inneren Monologs nur als Folie, die Momente faszinierender Suggestion durch Sprache werden in der stereophonen Präsentation immer neu demontiert: der Hörer, der sich in einen Ablauf von lyrischen Sprachbögen, faszinierenden Gedankenmöglichkeiten, herandrängenden Assoziationen hat hinein ziehen lassen, kann nach eigenem Willen aus ihm heraustreten, sozusagen einfach umschalten auf eine andere Folge von Wörtern in einer anderen Stereoposition, der er folgen will, bis er sich auch von ihr löst und sich eine neue Folge von Wörtern im Hörraum sucht, denen er folgen will oder von denen er lassen kann, sobald er will. Die faszinierend-suggestiven Momente der Sprache signalisieren zugleich in ihrer stereophonen Anordnung die Möglichkeit zu freiem Umgang mit dem, was im Radio gesendet wird. Zu diesem Kommentar hier gibt das Radio keine Alternative, aber das nun folgende Hörspiel enthält unzählige Alternativen seiner selbst. Deshalb ist es viel besser, meine ich, im Radio Hörspiele wie dieses von Friederike Mayröcker zu hören als Kommentare, von welcher Art auch immer.«

Zu ihrem Hörstück Arie auf tönernen Füszen bemerkt Friederike Mayröcker:


Eine Frau fährt im Eisenbahnzug nach einer Beerdigung auswärts, an ihren Wohnort zurück, und zwar imaginär, in Begleitung ihres Freundes.
Die Stimme in Pos. L realisiert: Erinnerungsbilder der Frau, als persönliche Vergangenheit;
Die Stimme in Pos. M realisiert: Gedanken-Teile, Assoziationen (auch in Beziehung auf die nahe Zukunft, also etwa auf den nächsten Morgen);
Die Stimme in Pos. R realisiert: Gesprochenes (zu imaginärem Gesprächspartner) der Frau.


Arie auf tönernen Füszen wurde von Friederike Mayröcker sehr präzise notiert, jeder Einsatz genau fixiert. Heinz von Cramer, Realisator der meisten ihrer Hörstücke, hat auch diese Partitur akustisch umgesetzt. Um das Ausmaß der Demontage zu vergegenwärtigen, eine kleine Leseprobe der einzelnen Sprachverläufe nacheinander (nicht wie im Akustischen mit- oder gegeneinander):


Links

Mitte

Rechts

. . . wurde ich krank
mußte einige Wochen liegen
konnte nicht mit –
wollte so gern mit Beatrix

ins Ausweichlager
. . . so ein kleides adrettes
Mädchen . . wenn sie,
die Telefonmuschel ans Ohr,

sah es aus
als ob sie eine Schnecke,
Biedermeierfrisur,


oder so
_ _
blieb also zurück
sehnte mich nach ihr –

. . . . . . . . . .

tierdienst


was ist eigentlich


tierdienst

. . . . . . . .
. . . . . .


. . . . . .
zeiger


todaustreiber

so eine Wasser-
schildkröte
ist ja sehr,
aber denk doch
. . . .
. . . .
wieviel
also ichmeine
Pflege und so
außerdem, das Bassin
musz immer
geheizt sein

. . .
. . .
. . .
. .
Fische? nein
Fisch-
also
ich weisz nicht,
für
Fische hab ich mich
nie sonderlich


Jeder Sprachverlauf für sich genommen erscheint in sich inhaltslogisch, einer Assoziationskette folgend. Der durch die akustische Simultaneität erfolgte Zusammenstoß dieser drei Verläufe löst diese Logik jedoch auf, stört sie und ermöglicht gleichzeitig eine neue Mischung. (»Die Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirmes auf einem Seziertisch.«): Beispiel einer akustischen Collage. Gleichzeitig Beispiel des fundamentalen Zweifels, komplexe Realität durch eindimensionale sprachliche Benennung fassen zu können. Versuche, Friederike Mayröcker heimzuholen in den einst sicheren Hof des allwissenden lyrischen Erzählens, stehen angesichts dieser Arie auf tönernen Füßen.

Heißenbüttels Bemerkungen zum Hörstück Der Tod und das Mädchen treffen hier ebenso wie auf das gesamte Hörwerk der Friederike Mayröcker zu: »Geschrieben worden sind solche Hörspiele, weil die Eindeutigkeit fehlt, verloren gegangen ist, sich aufgelöst hat, keine Stichhaltigkeit mehr besitzt. Erst wenn man die nicht mehr vorhandene Eindeutigkeit des Privaten und auch der Innerlichkeit voraussetzt, begreift man, warum solche Versuche gemacht werden, neue literarische Entwürfe an die Leerstelle zu setzen.« Weiterhin stehen Hörspiele dieser Art in einem Massenmedium im Abseits. Vermißt wird ihr Gebrauchswert – welcher Art auch immer. Die Aufforderung der Friederike Mayröcker an die Hörer, nicht von ihr Antworten zu erwarten, sondern sich die Freiheit und Phantasie zu nehmen, selbst Antworten zu geben, ist immer noch außergewöhnlich, steht etwas quer zum aufrechterhaltenen massenmedialen Konsensus. Eine schwierige Position für alle Beteiligten. Sollten Stücke dieser Art, wie es auch bei uns lange Zeit Brauch war, ignoriert werden? Seit etwa 15 Jahren setzen wir uns produktiv mit Texten und Konzepten wie denen Friederike Mayröckers auseinander. Dramaturgie, Regie und Hörer reagieren lernend. Die Ergebnisse sind vorläufig. Entsprechen dem Stand der Aufgeschlossenheit und Phantasie der Mitarbeiter sowie den uns eingeräumten Konditionen. Längerfristiges systematisches Arbeiten zwischen Autor, Dramaturgie und Regie, in dem Kriterien einer adäquaten Grammatik der akustischen Realisation entwickelt werden, könnten produktiv sein auch für die gesamte Rundfunkarbeit. Ansätze dazu sind gemacht. Was jedoch spricht dafür, daß sie gesichert sind für eine zukünftige Weiterentwicklung? Die feste Einrichtung weiterer experimentierender Redaktionen könnte eine der Voraussetzungen sein.

Über zehn Hörtexte von Friederike Mayröcker sind bisher akustisch realisiert – fast alle wie die ihrer Landsleute Rühm, Jandl, Jonke, Handke, Jelinek, Scharang, Hoffer u. a. – zunächst in den Sendern der ARD. Die Hörspielarbeit ist wesentlicher Teil ihrer gesamten schriftstellerischen Produktion. Ein Bewußtmachen, eine Aufarbeitung dieser Tatsache steht noch aus. Friederike Mayröcker hat versucht, ihre akustische Utopie verständlich zu machen. Auch in ihrer Zusammenarbeit mit Ernst Jandl und in präzis/unpräzisen Vorschlägen zur Realisation. Diese sollten den Regisseur anregen, so etwas wie Musik in ihren Texten zu hören, diese hörbar zu machen für andere in gesprochener Sprache, Pause und Geräusch. In diesen Texten, fürs Hören gedacht, liegt ein Stück Utopie – und Überforderung. Es findet sich in ihnen so etwas wie die Suche nach Kommunikation, nach einer Sprache jenseits einer verrotteten Sprache, diese wie Musik hörbar und dabei die Gleichzeitigkeit eines für sie stets statischen Geschehens sinnlich erfahrbar zu machen. Auflösung von Strukturen, Zusammenhängen, Grammatik – die schon aufgelöst sind – bei gleichzeitigem Versuch, die Fragmente neu zu ordnen, Organisierung neuer Strukturen von Kommunikation. Die poetische Weltanschauung der Friederike Mayröcker, alles sei gleichzeitig bewegt und statisch zugleich, ist eine Weltanschauung. Auch diese ist nicht zufällig, sondern Ausdruck und Dokument einer aktuellen, historischen Situation.

Wege ins Lappland: Regieangaben für ein noch nicht produziertes Hörspiel aus dem Jahre 1970.


1) Die Ansage der Namen und Orte bedeutet für den Hörer eine Abgrenzung des Bereiches, in dem sich das folgende Hörspiel vollziehen wird. (Die Ansage nennt jeweils die Stimme und die dazugehörigen Orte.)


Stimmen:

Fallperson 1 (männl.)
Fallperson 2 (männl.)
Fallperson 3 (männl.)
Oberhauswart
Chor

Fanny & Klaus
Herkules Meerbusch
Vasco da Gama
Tante Pepa
Olga
Rio
Das Mädchen Squeaky
Patrick Trittzehe
(Schluß der Ansage)


Orte:

Eisenbahnstrecke in der gem.*
Schweiz von Narzissen überwuchert


Leuchtturm dessen Galerie von zer-
schmetterten Vögeln bedeckt ist
Im Flugzeug nach Portugal
Himmelsdamm
Portugal, Atlantik
Küche

Idealer Schnitt eines Teils der Erde
Studio Köln, Schneidetisch
Studio Köln, Mischpult

* Diese Abkürzung kann nach Belieben interpretiert werden.

Für den Regisseur hingegen, wie für die Sprecher, geben Namen und Orte – sowohl in der Ansage, wie im ganzen Verlauf des Hörspiels, wo die Namen ja nicht mehr gesprochen werden – eine Kette von Hinweisen auf die Färbung der einzelnen Stimmen, den möglichen Charakter, den die Stimmen repräsentieren, die Art des jeweiligen szenischen Fluidums, aus dem die Stimmen ertönen, schließlich Hinweise auf alles, was der Regisseur und Sprecher noch auch eigenem an Geräuschen und akustischen Gesten hinzu tun wollen.

2) Unterstrichene Passagen werden besonders hervorgehoben
3) Akustische breaks sind jederzeit einschaltbar.
4) Ein gewisses akustisches Chaos ist erwünscht
5) Positionen ad.lib.


Wer lässt sich ein auf eine derart kühne, unvermessene akustische Reise ins Lappland? Für manche Entwürfe, komplexe Hör-Texte, scheint die Zeit ihrer akustischen Realisation noch nicht gekommen. Neues Hörspiel – mehr denn je – eine Utopie? Vieles davon Exportartikel aus Österreich gratis nach Norden.

Kürzlich nahm ich mit Friederike Mayröcker in Wien einen neuen Text für unsere Hörer fern von Wien auf. Den Text einer Wienerin über einen Wiener: Franz Schubert oder Wetterzettelchen Wien. Ich hörte Friederike Mayröcker wie aus der Fremde den Satz lesen: »9. Wetter.« und an die Freunde in Wien: »Wie sehr vermisz ich Euch alle. So schön es hier ist, es zieht mich mächtig zurück.«

»In Flandern, Feldern, nahe Picardie«.*



Quelle: Klaus Schöning: »Vom Neuen Hörspiel zur Akustischen Kunst zur Ars Acustica als Ars Intermedia – Erinnerungen. Essays, Vorträge, Reflexionen, Sendungen, Porträts und Gespräche«, Klaus Schöning/Nadja Schöning (Hrsg.), Verlag Königshausen & Neumann, 2021.

* Zitat aus dem Hörstück »Der Tod und das Mädchen«.


Klaus Schöning, *1936, Regisseur, Autor, Dramaturg, Herausgeber; Gründer und bis 2001 Leiter des wegweisenden Studio Akustische Kunst des WDR in Köln. Als Radiomacher und Essayist trug er wesentlich zur Ausprägung von Neuem Hörspiel und Ars Arcustica bei.


Wir danken Klaus Schöning und Nadja Schöning für die freundliche Genehmigung der Wiederveröffentlichung.