autor*innenprojekte

Über Andreas Okopenkos »7. Mai«

Blog, 27. Mai 2025
Am 2. Juni steht Andreas Okopenko im Zentrum von Markus Köhles Reihe Retrogranden aufgefrischt. Auf der Suche nach Okopenkos Gedicht »7. Mai« hat sich Markus Köhle in die Hände eines Bibliothekars begeben:


Mai-Andacht
Von Markus Köhle

7. Mai: Ein historischer Tag. In Rom wird der Papst gewählt. 

7. Mai: ein literaturhistorischer Tag. Das Gedicht »7. Mai« von Andreas Okopenko feiert 60. Geburtstag. Die Kardinäle beraten, der Autor vertieft sich in Andreas Okopenko und schreibt diesen Text am 7. Mai 2025 in Rom, vielleicht so lange bis Rauch aufsteigt.

Der Autor sitzt in der größten österreichischen Bibliothek außerhalb Österreichs, tritt an den Bibliothekar heran und wünscht sich: »Alles von Andreas Okopenko, bitte.« Der Bibliothekar freut sich, er sagt: »Es kommen nicht mehr viele, seit es das Internet gibt.« Eine Aussage, die den Autor fast zum Weinen bringt. Die Suche ergibt 50 Treffer. Das wiederum ist Grund zur Freude.  

Der Bibliothekar nimmt den Autor mit in den Keller, die Direktorin des Hauses scherzt: »In Österreich hält man die wichtigen Dinge im Keller«, und bietet dem Autor ein Stück Imperialtorte an. Der Autor isst, hört zu und folgt in den Keller. Bibliotheks-, Haus-, und Weltgeschichte prasseln auf ihn ein. Es fällt ihm ein dazu passendes Lockergedicht Okopenkos ein: »Weltgeschichte: Eine Maus / Teilt die Zeit in Miaus.«

Ob es eine Hauskatze gibt, muss der Autor den Bibliothekar später fragen. »Eine Türschnalle hält bekanntlich länger als sowas«, sagt die Direktorin, zeigt auf ihren Körper und erzählt dem Autor, dass eine Geschichte des Hauses geschrieben gehört, und zwar in dem Sinne, wer schon aller hier ein- und ausgegangen wäre und dies und das gemacht hätte. Der Bibliothekar schreitet voran und erweist sich als Herr der Verschubregale. Ein weiteres Lockergedicht kommt dem Autor in den Sinn: »Die Lebendigen muss man bändigen. / Die Toten darf man pfoten.«

Das älteste Buch ist aus dem Jahre 1630, handkoloriert, natürlich über die Päpste. Die Kardinäle dürften sich mittlerweile bereits in die Sixtinische Kapelle zurückgezogen haben, um sich zu beraten. Sie dürfen während des Konklaves keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Das Internet im Vatikan ist ausgeschaltet. Dafür wurden zwei Öfen aufgestellt für die Stimmzettelverbrennung. Es wird innerhalb von 33 Tagen ein Papst gewählt worden sein, vielleicht auch schon heute. Zig Kamerateams aus der ganzen Welt und Tausende Gläubige harren der Rauchdinge.

»Alle Leute muss man treten / Weil sie sonst für einen beten«, schreibt Okopenko und lockerdichtet außerdem: »Die Heiligen / muß man pfeiligen, // die Seligen / pfähligen, // die Sündigen / zündigen   // und den Neutralen / alle restlichen Qualen.« 

Im Gespräch mit dem Titel "Witzlicht statt Blitzlicht oder: Plädoyer für die Liebe jenseits von Gans und Gockel« im Dossier-Band herausgegeben von Konstanze Fliedl und Christa Gürtler (Droschl, 2004) sagt Andreas Okopenko: »An und für sich zähle ich mich zu den selbstkritischen Autoren. Wenn man absieht von den Lockergedichten, die ganz spontan entstehen und für die ich keine Verantwortung übernehme (...).« Der Autor hält es in Selbstkritikdingen ganz mit Okopenko, allein das Gedicht der Gedichte, das Andreas Okopenko mit »7. Mai« gelungen ist, das hat der Autor noch zu schreiben. 

Der Dossier-Band ist im Lesesaal im Freihandbereich aufgestellt, den hat sich der Autor gestern schon angeschaut. Die Verschubregale haben einen natürlichen Hang sich zu schließen, je länger man sich zwischen den Regalreihen aufhält, desto näher kommen sie einem. Mit einem heranrollenden Regal soll man es eher nicht aufnehmen, warnt der Bibliothekar. "Pro Quadratmeter Verschubregal rechnet man circa 750 Kilogramm. Es ist nicht ratsam, Verschubregale im ersten Stock unterzubringen«, informiert der kundige Bibliothekar und lächelt weise. Er ist ein guter Herr über die Bücherschätze und Verschubregale. Äußerungen des Staunens von Seiten des Autors quittiert er mit »Mhms«, die voll Stolz sind. Für Verschubregale ist der Keller also wirklich mal der beste Ort. Hier passt auch das Klima. Der Autor lässt sich die Zeitschrift protokolle aus dem Jahre 1966 ausheben. Da ist der »7. Mai« abgedruckt.

»An diesem 7. Mai lag ich krank im Bett. Ich wollte mir die Wirklichkeit ins Zimmer holen. Durch eine solche subjektive Wiedergabe des Augenblicks will ich ein verwandtes Gefühl im Leser bewirken. Es geht darum, das Einmalige jedes Dings in jedem Augenblick wahrzunehmen, also nicht nur die Eindrücke, die die Sinnesorgane einem zutragen, sondern auch die existentielle Komponente. Es geht um das Einmalige, eingebaut in das Weltganze. Dessen Wahrnehmung kann ein Gefühl äußerster Ergriffenheit auslösen.« Erläutert Okopenko 1999 in einem Interview für den Standard mit Michael Cerha.

Auf die Suche nach der Ergriffenheit und dem Weltganzen wird der Autor heute noch in die Via della Conciliazione gehen. Den Leser*innen dieses Beitrags sei empfohlen, sich auf die Suche nach dem Text »7. Mai« von Andreas Okopenko zu machen. Allen Interessierten der Reihe »Retrogranden aufgefrischt« wiederum sei ans Herz gelegt, sich den 2. Juni 2025 im Kalender zu markieren. Da werden nämlich Daniel Wisser (Schriftsteller und Okopenko-Kenner), Alexandra Mitterer (Lyrikerin und Liedermacherin), David Friedrich (Poetry Slammer und Musiker) und der Autor dieser Zeilen - Markus Köhle - präsentieren, was sie gefunden haben auf ihren Okopenko-Recherchepfaden. Lassen Sie sich das nicht entgehen. 


© Markus Köhle