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Echos aus Japan

»Die unverständlichen Zeichen als Projektionsfläche machten mich zu einem Japan-Erfinder und nicht zu einem Analphabeten«, schreibt Lydia Mischkulnig in Zum Kärnten in Japan. Sie ist eine unter vielen deutschsprachigen AutorInnen, deren Literatur von einer intensiven Auseinandersetzung mit japanischer Kultur, Literatur und Mythologie geprägt ist. Sie und Sabine Scholl haben nicht nur gemeinsam Japan erkundet, sondern in ihrer mehrbändigen Böhmischen Bibel auch die Möglichkeiten gemeinsamen Schreibens, die sie in »Wechselgesängen« ausloten. Scholls Roman Die Füchsin spricht spannt einen Erzählbogen zwischen japanischer Mythologie, dem Alltag einer alleinerziehenden deutschen Mutter und Japan post Fukushima und kreist um die Schwierigkeiten, sich im »Danach« zurechtzufinden. Die Reflexion sprachlicher Möglichkeiten im Schreiben zwischen Kulturen thematisiert Ann Cotten in ihrem Erzählband Der schaudernde Fächer. Ihre experimentelle, sprachkünstlerische Prosa spielt mitunter mit den stilistischen Besonderheiten japanischer Literatur, greift sie auf, ohne sie sich zu eigen machen zu wollen.

Wie stark europäische Japanbilder oft von Klischees geprägt sind und wie die Übertragung literarischer Texte aus dem Japanischen zu einem Balanceakt kultureller Vermittlung werden kann, wird die profilierte Japanisch-Übersetzerin Ursula Gräfe anhand ihrer Übersetzungen von Ryu Murakami und Haruki Murakami erläutern. Sie hat auch Murakamis Erzählung Tony Takitani übersetzt, deren Verfilmung durch Jun Ichikawa gezeigt wird. Der zweite Film, Naomi Kawases Kirschblüten und rote Bohnen nach einem Roman von Durian Sukegawa, widmet sich dem gesellschaftlichen Umgang mit Menschen, die in der japanischen ebenso wie in deutschsprachigen Gesellschaften oft an den Rand gedrängt werden: Alten und Kranken. Auch die Figuren in Fuminori Nakamuras Roman Der Dieb entsprechen gängigen Japanklischees kaum; sein Protagonist ist ein Taschendieb, der seine Kunst bis zur Perfektion choreografiert hat. Der unterkühlten Sachlichkeit seines Stils steht im Roman der wiederkehrende Verweis auf das Nicht-Greifbare gegenüber, eine mystische Dimension. Ähnliche Figuren bevölkern auch Miri Yus Roman Gold Rush, der mit seiner Darstellung von Gewalt und Kriminalität eine Gegenwelt aufzeigt zu klischierten Japanbildern von Höflichkeit, Respekt und Ordnung. Einen Perspektivenwechsel von Protagonisten japanischer Geschichtsnarrative zum Blick aus der Peripherie vollziehen Hitonari Tsujis Romane Warten bis die Sonne kommt und Der weiße Buddha. Er gehört zu jenen japanischen Stimmen, in deren Schreiben neuralgische Momente der japanischen Geschichte Angelpunkte für das Leben der Figuren bilden. Damit lässt seine Literatur ein Thema anklingen, dem auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine wesentliche Bedeutung zukommt: die Befragung der eigenen Geschichte.

Eröffnet wird die Veranstaltung mit einer Butoh-Performance von Marion Steinfellner mit Musik von Michael Fischer. Dabei wird der »Tanz der Finsternis«, wie der japanische Ausdruckstanz häufig übersetzt wird, von einem Echo japanischer Haiku begleitet. Einen wesentlichen Teil unseres Echoraums bilden die Stimmen von Hiroko Oyamada und Nanae Aoyama, zwei junge Autorinnen, beide Preisträgerinnen des wichtigsten japanischen Literaturpreises, des Akutagawa-Preises. Oyamada wird ihren ersten ins Deutsche übersetzten Text Spinnenlilien lesen, über die Kluft zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, als einer jungen Frau von der Großmutter ihres zukünftigen Mannes von der Heilkraft ihrer scheinbar endlos schießenden Muttermilch erzählt wird. Nanae Aoyama vertritt mit ihrem Roman Eigenwetter jene japanischen AutorInnen, die in feiner, melancholischer Sprache seismografisch genau zwischenmenschliche Stimmungen und menschliche Bewegungen aufzeichnen. Der gleichen Generation gehört auch Milena Michiko Flašar an: Die österreichische Autorin mit japanischer Mutter beschäftigt sich in ihrem Roman Ich nannte ihn Krawatte mit dem Hikikomori, einem spezifisch japanischen Phänomen, dem völligen gesellschaftlichen Rückzug: Menschen, die sich in ihrer Wohnung oder ihrem Zimmer einschließen und sozialen Kontakt auf ein absolutes Minimum reduzieren. Dabei sind ihre Figuren jedoch exemplarisch für Menschen, die sich in der schnelllebigen Leistungsgesellschaft des Spätkapitalismus selbst verloren haben. Auf diese Weise erfindet sie Japan zwar nicht neu, arbeitet jedoch heraus, dass das Land und die Kultur oftmals auch Projektionsfläche von Exotismen sind.

Japan-Bilder werden in den so unterschiedlichen Texten der AutorInnen stetig neu entworfen. So wird literarisch erfahrbar, was Sabine Scholls Protagonist in Die Füchsin spricht über sein Leben in Japan schreibt: »Seit ich … aber wirklich angekommen war, fiel das Adjektiv japanisch fort, die Front zwischen mir und dem Fremden wurde löchrig.«

Johanna Öttl, Jana Volkmann

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