96-98

Gauß // Röggla // Guttenbrunner
96
Karl-Markus Gauß

Im Wald der Metropolen (2010)

Mit seinem Werk hat Karl-Markus Gauß eine eigene, originelle Form der Sprachkunst geschaffen. Seine Bücher – ob als »Journal« deklariert, ob Reisereportage oder Kulturerzählung – verbinden präzise Beobachtungen und Beschreibungen zu einem feinen Netz ungeahnter Zusammenhänge. Sie entwickeln sich aus der Perspektive des Ich, dessen innere und äußere Wege insgesamt einen Entwicklungsroman der besonderen Art erstehen lassen.
Die wesentlichen Elemente Gaußscher Literatur finden sich Im Wald der Metropolen vereint: »kleine Bausteine für eine große Charakterologie« heißt es hier. Aus der Zusammenschau anscheinend unscheinbarer Szenen, historischer Hintergründe und eigener Zugänge ersteht eine Welt, pointiert formuliert, auch in Gegensätzen: »Opole ist eine alte Stadt, in der alles jung ist, aber so alt ausschaut, wie es früher nie war.«
Es sind große Erzählungen aus mannigfaltigen Regionen und aus dem Wald der (Literatur-)Geschichte, »von Reisen durchs eigene Zimmer und durch halb Europa, durch Bücher und Landschaften«.
K. Zeyringer

97
Kathrin Röggla

die alarmbereiten (2010)

In sieben Szenarien, darunter die Grundlage ihres Theaterstückes Die Beteiligten (2009), offenbart Kathrin Röggla in die alarmbereiten ein Arsenal an medial geprägten pseudofunktionalistischen Sprachhülsen, die reale Verhältnisse verschleiern und in erregter Übertreibung Sachverhalte verzerren, ins Monströse aufblähen. Dieser öffentlich verbreitete Sprachgebrauch hebt Unterschiede zwischen realer und möglicher Bedrohung, individueller Angstvorstellung und evidentem kollektiven Notfall, Hilfeleistung und Übergriff, Problemlösung und Konfliktverschärfung, demokratischem Ritual und autokratischer Entscheidung, Verantwortlichkeit und Ausgeliefert-Sein auf, eindeutige Begriffe und Kategorien scheinen im permanenten Schwall des Geredes überflüssig zu werden. Die vorgebliche Sorge um die Menschen wird in diesen Stimmen-Stücken als monologische Schausprecherei entblößt, die Kluft zwischen den wahren Lebensbedingungen der Menschen und den abgeschirmten Sprechräumen wird unüberbrückbar. Wie nebenbei artikuliert Kathrin Rögglas Art angewandter Sprach- und Medienkritik brisante Befunde von Zersetzungen eines gesellschaftlichen Lebens. Ihre Arbeit kann in einer Traditionslinie von Johann Nepomuk Nestroy über Karl Kraus bis zu Elfriede Jelinek gelesen werden; Ernst Jandls Stück Aus der Fremde scheint für ihre zwischen Komik und Entsetzen changierende Analyse eines Lebens zwischen Indikativ und Konjunktiv ein taugliches Modell geboten zu haben.
K. Neumann

98
Michael Guttenbrunner

Im Machtgehege (1976–2004)

Die kurzen Prosastücke der acht schmalen Bändchen von Im Machtgehege sind – neben seiner eminenten Lyrik – das Hauptwerk des Dichters Michael Guttenbrunner. Es ist geprägt durch die Erfahrung von Not, Unrecht und Gewalt und sprachlich geschult an seinem großen Vorbild Karl Kraus. Michael Guttenbrunner hat Krieg und Strafdivision nur mit Glück, mehrfach verwundet und schwer traumatisiert überlebt. Sein literarisches Werk weist in Hunderten von autobiographisch verbürgten Begebenheiten auf das Verkehrte, Entwürdigende und Verbrecherische, das auch unser Land seit dem Ende des Ersten Weltkrieges geprägt hat.
Er beschwört jedoch mit der gleichen Kraft und Intensität auch die Gegenwelten all dessen, die Bilder des geglückten Lebens: der Freundschaft, der Liebe, der erfüllenden Arbeit, des Glücks angesichts der Schönheit in Natur und Kunst. Die Anschaulichkeit und Eindringlichkeit, mit der er Personen, Städte und Landschaften, Architektur, Tiere, Pflanzen und Gegenstände des alltäglichen Lebens beschreibt, vermitteln eine Haltung des Respekts, der Zuneigung, des Staunens und der Liebe, die die Voraussetzungen dafür wären, das umzukehren und gutzumachen, was er die »selbstverschuldete Verwahrlosung unserer Aufgabe« nennt.
K. Amann

publikationen

Dokumentationsbände

der ersten 75 Grundbuch-Veranstaltungen sind 2007, 2013 und 2019 in der Buchreihe profile des Wiener Zsolnay Verlags erschienen.


der hammer nr. 66