86-90

Egger // Wiener // Selinko // Schürrer // Welsh
86
Oswald Egger

Die ganze Zeit (2010)

Ein Buch Die ganze Zeit zu nennen, ist reine Hybris. Oder doch nicht? Auf über 700 Seiten zeigt Oswald Egger, was die »ganze Zeit« ist: eine Gegenwart, in der Schauen, Hören, Denken und Empfinden ineinander übergehen. In der die äußere Natur zur inneren wird und umgekehrt. Die ganze Zeit ist ein Monumentalwerk literarischer und philosophischer Welterfassung und ein Kunstwerk der Buchgestaltung noch dazu.            
P. Jandl

87
Oswald Wiener

die verbesserung von mitteleuropa, roman (1969)

Kaum ein Buch der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur hat eine so wirkungsvolle und zugleich widersprüchliche Rezeption wie Oswald Wieners 1969 erschienene verbesserung von mitteleuropa, roman erfahren: Die Bandbreite reicht von seiner Einschätzung als zentrales Manifest einer sprachkritischen, ja sprachzertrümmernden Neo-Avantgarde bis hin zu seiner Taxierung als erstes postmodernes Werk. Sie sei einerseits eine glühende theoretische Grundlegung der kybernetischen Methode und ihrer Anwendung im glücksverheißenden bio-adapter, der eine virtual reality und die Lösung aller Weltprobleme skizziere, andererseits aber seien der gesamte roman und die Abschnitte über den bio-adapter im Besonderen eine harsche Kritik der behavioristischen Methode und ihrer unausweichlichen Folgen: der Zurichtung des Einzelnen in Staatsverbänden, sein Gesteuertsein von Umwelt, sei es Politik, Gesellschaft, Sprache oder statistische Messwissenschaft. Welche Rolle das Werk für die deutschsprachige Literatur spielt, welchen Stellenwert es im Werk und der Denkentwicklung seines Autors einnimmt, soll ebenso befragt werden wie der Status eines, so der Autor, »Sprachkunstwerks, das Selbstmord begeht«.
T. Eder

88
Annemarie Selinko

Désirée. Ein historischer Roman (1951)

Der 1951 erschienene historische Liebesroman Désirée erreichte in kurzer Zeit Millionenauflagen und wurde in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Beinahe vergessen ist dagegen die Verfasserin, die Schriftstellerin Annemarie Selinko, geboren 1914 in Wien, die den Roman ihrer in Auschwitz ermordeten Schwester Liselotte widmet.
Das fiktive Tagebuch erzählt die Geschichte Désirée Clarys, einer Seidenhändler-Tochter aus Marseille, die durch ihre Heirat mit dem französischen Marschall Bernadotte Königin von Schweden wurde. Biographische und zeithistorische Bezüge eröffnen interessante Lesarten eines bisher als bloße Unterhaltungsliteratur rezipierten Romans.
C. Gürtler

89
Hermann Schürrer

Klar Schilf zum Geflecht. Das ABC von A–Zet. Lyrische Texte 1954–1984 (1984)

Schürrers lyrische Palette ist reichhaltig. Die sensibelsten Töne finden sich ebenso darauf wie die radikalsten, mit seiner Umwelt abrechnenden. Hermann Schürrer, der den Menschen im »Eisberg seiner Selbstzerstörung« ortete, gab sich keinen Illusionen hin. Bequem war er nie, weder in seinem Leben, noch in seiner Kunst. Seine »gesellschaftsfähige Zeit« hatte ihn nicht zum Fürsprecher – »Karrierenfarce« und das »hölzerne Spreizbein der Pflicht« konnten ihm getrost gestohlen bleiben. Der Dichter »immer bereit alles wegzuwerfen alles zu gewinnen«, kreist den Tummelplatz der »Zierinsekten der Gesellschaft« ein und hält seismographisch fest: »Noch schlägt das Herz dort und da in Unvernunft«
Sein Credo gegen Parteien, Uniformierung, Gleichschaltung prolongierte er stets aufs Neue.
G. Jaschke

90
Renate Welsh

Johanna (1979)

Stilistisch luzide, plastisch und mit einem untrüglichen Blick fürs Wesentliche erzählt Renate Welsh in ihrem 1979 erschienenen Roman über fünf Lebensjahre der Jugendlichen Johanna. Sie wächst als unehelich geborenes Kind bei einer Ziehmutter auf, als 13-Jähriger wird ihr der Lebenswunsch, Schneiderin zu werden, verwehrt. Stattdessen wird sie von einem Bauern gegen ihren Willen »einbehalten« und muss sich als Dirn verdingen. Doch lässt sie sich nicht unterkriegen, sie lernt vielmehr an den Verhältnissen. Die Spannungen zwischen Sozialisten, Christlich-Sozialen und Nazis im Austrofaschismus der 1930er Jahre entgehen ihr nicht. Und sie bleibt trotz der sie umgebenden Lieblosigkeit, Bosheit und Ideologie bei sich.       
M. Hammerschmid

publikationen

Dokumentationsbände

der ersten 75 Grundbuch-Veranstaltungen sind 2007, 2013 und 2019 in der Buchreihe profile des Wiener Zsolnay Verlags erschienen.


der hammer nr. 66