46-50

Czurda // Winkler // Mitgutsch // Spiel // Lebert
46
Elfriede Czurda

Die Giftmörderinnen (1991)

Die Giftmörderinnen könnte man als Reminiszenz an den militanten Feminismus verstehen. Aber dieses zugleich beeindruckende und wunderliche Werk der Sprachartistin Elfriede Czurda zeigt vor allem, wie sich Macht verdichtet im gedachten und ausgesprochenen Diskurs, wie sich Welt bildet in der radikalen Prägung unserer Protagonistin durch das Wort, über das sie selbst nicht verfügt – aber ihre Autorin in ganz einzigartiger Weise. Der Titel lässt am letalen Ausgang gescheiterter Paarbindungen von Anfang an keinen Zweifel. Was sich entwickelt, ist deshalb nicht auf Spannung hin erzählt, sondern von erschreckender Folgerichtigkeit. Die Erzählstimme verfügt zugleich allwissend über ihre Figuren, gibt aber auch, fast unmittelbar, Gedankeninhalte als inneren Monolog und als Bewusstseinsstrom wieder: So lässt sich die Erzählposition nie klar fixieren. Der Roman changiert virtuos zwischen den Zeiten und den Redeoptionen, blendet Briefpassagen ein, modelliert die Stimmen der einzelnen Figuren. Aber anders als Döblin interessiert Czurda nicht der befremdliche historische Fall selbst oder die Sexualpathologie dahinter, sondern deren Verwobensein mit dem Sprachmaterial, in dem sie artikuliert werden. Erst im wilden Zertrümmern durchschaut Else, die heilige Einfalt, das Gefängnis des Diskurses, in dem sie gefangen war. Und in der materiellen Zelle erreicht sie, paradoxer Weise, wieder die Freiheit der Imagination und die Chance, von ihrem realen, fürchterlichen Leben absehen zu können.
Heinz-Peter Preußer

47
Josef Winkler

Natura morta (2001)

Natura morta ist als sprachlich und formal überaus streng durchgearbeitete Novelle ein Höhepunkt im Schaffen Josef Winklers. Sprache und Form sind dem inhaltlichen Geschehen durchweg adäquat. Mit einer wortreich-sprachlosen Schocktherapie reagiert Winkler auf die Katastrophe innerhalb seiner Fabel und schafft es, das Entsetzen auf fast körperlich spürbare Weise an die Leser weiterzureichen.
Friedhelm Rathjen

48
Anna Mitgutsch

Haus der Kindheit (2000)

Anna Mitgutschs Haus der Kindheit berichtet von dem jüdischen Emigranten Max Berman, der nach Jahrzehnten versucht, in das elterliche Heim zurückzukehren. Der Roman beschäftigt sich aber nicht nur mit den zeitgeschichtlichen Themen von Remigration und Restitution. Er ist die Wiedergabe einer Vita, die durch einen katastrophalen Bruch markiert wurde, und damit auch eine Auseinandersetzung mit der biographischen Vorstellung eines ›ganzen‹ erzählbaren Lebens; und er denkt nach über die Möglichkeiten der Erinnerung, über die ›lieux de mémoire‹ und über die schmerzhafte Arbeit an der Vergangenheit. Erschienen im »Milleniums«-Jahr, geriet das Buch zu einer der wichtigsten literarischen Auseinandersetzungen mit der Frage, was als unverbrüchlicher Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses ins 21. Jahrhundert mitzunehmen ist.
Konstanze Fliedl

49
Hilde Spiel

Das Haus des Dichters (1992)

Als Meisterin nobler Streitbarkeit hat Hilde Spiel in der Literaturkritik und Essayistik sehr persönliche und bleibende Akzente gesetzt. 1992, zwei Jahre nach Ihrem Tod, erschien der Sammelband Das Haus des Dichters, der als postumes, aus dem Nachlass herausgegebenes Vermächtnis gelten kann. Das »sinnenhafte Vergnügen«, das sie selbst bei der Lektüre von Büchern und Gedichten empfunden hat, wollte Hilde Spiel in ihren Aufsätzen und Rezensionen an »potentielle Leser« weitergeben, und so ergeben die im Band versammelten Texte ein großes Kompendium ihrer persönlichen Zuneigungen und kritischen Würdigungen. Bestechend ist dabei vor allem eines: wie haltbar Hilde Spiels Urteile geblieben sind.
Paul Jandl

50
Hans Lebert

Die Wolfshaut (1960)

Ein Matrose kehrt sieben Jahre nach Kriegsende in sein in den österreichischen Bergen gelegenes Heimatdorf namens »Schweigen« zurück. Er geht dem ungeklärten Freitod seines Vaters nach und damit der jüngsten Vergangenheit des Dorfes. Der Vater war nämlich an der Ermordung von Zwangsarbeitern in der ortsansässigen Ziegelei beteiligt; andere Mitschuldige, wie der ehemalige Ortsgruppenleiter, leben ungestraft in gesicherter politischer Position. Niemand will etwas von den Verbrechen wissen, die Spurensuche des Matrosen steigert noch den Argwohn der verschlossenen Dorfbewohner. Die Taten sollen unangetastet bleiben, und wer von den Lebenden zu reden anfängt, der muss sterben. Dafür wird mit Leidenschaft zur Jagd auf einen »bösen« Wolf geblasen, der um das Dorf streicht, während dieses von einer hundert Tage währenden, ununterbrochenen Flut winterlicher Niederschläge heimgesucht wird. Heimito von Doderer hatte Die Wolfshaut zu den zehn besten deutschsprachigen Romanen nach 1945 gezählt.
Redaktion
Hans Leberts umfangreiches Werk Die Wolfshaut ist vieles zugleich: Dorfroman, Geschichtsroman, Kriminalroman, Gespensterroman. Elfriede Jelinek bezeichnete ihn als »Achttausender der österreichischen Nachkriegsliteratur«. Er stellt die erste radikale literarische Auseinandersetzung mit Österreichs Verstrickung in NS-Kriegsverbrechen dar, zeigt den Fortbestand der Mentalität, die dies ermöglichte, durch ein schonungsloses Porträt einer Dorfgemeinschaft der frühen Zweiten Republik und verbindet diese realistische Schilderung mit dem Motiv einer transzendenten Rache.
Jürgen Egyptien

publikationen

Dokumentationsbände

der ersten 75 Grundbuch-Veranstaltungen sind 2007, 2013 und 2019 in der Buchreihe profile des Wiener Zsolnay Verlags erschienen.


der hammer nr. 66