21-25

Hoffer // Gerstl // Roth // Bernhard // Mayröcker
21
Klaus Hoffer

Bei den Bieresch I+II (1979+1983)

Bei den Bieresch (1979/1983) kann man als »Grundbuch der österreichischen Literatur« bezeichnen, weil es Österreich Grund und Boden entzieht. Und nicht nur Österreich: allen Reichen. Den diesseitigen und den jenseitigen. »Eigentum ist Diebstahl«: nach diesem Satz leben und sterben die  Biereschek. Klaus Hoffers zweiteiliger Roman ist die umfassende Darstellung einer Zivilisation, die in ihrem Zerfall zusammenhält. Und die Geschichte eines jungen Mannes, der ihr nicht entkommt. »Halbwegs«, so der Name, den ihm die Biereschek geben, kennen wir ihn. Halbwegs erkennen wir uns. Halbwegs bleibt alles im Dunkeln.
Samuel Moser

22
Elfriede Gerstl

Wiener Mischung (1982) 

Elfriede Gerstl ist eine der eigenwilligsten Stimmen, die aus der Wiener Avantgardeszene kamen. Ihre dem Understatement verbundenen Texte haben den schwarzen Humor als Lebenselixier. Klarheit und Rührung sind die zentralen Erkenntniswerkzeuge, was man als sehr wienerisch bezeichnen könnte. Ein verwundertes Staunen über Welt und Gesellschaft, eine wohlwollende Art von Feminismus mit gehobener Augenbraue kennzeichnet ihre Gedichte.
Redaktion
Von diesem Staunen und nicht von Aggressivität oder von Emphase sind die Texte der Elfriede Gerstl grundiert; aber diesem Staunen ist doch auch die lebendige und verlebendigende Unzufriedenheit mit dem Bestehenden eingeschrieben. Vor allem behaupten sich die Texte in ihrer Eigenständigkeit: »Jeder Gläubige reizt meinen Widerspruch«, sagt sie, und das lässt doch die Vermutung zu, dass wir es mit ihren Büchern auch mit Zeugen einer dezenten und präzisen und in Österreich von Mal zu Mal verschleppten Aufklärung zu tun haben, ohne allerdings deren Geburtsfehler, dem von Gerstl so genannten »Didaktick«, zum Opfer zu fallen.    
Wendelin Schmidt-Dengler

23
Gerhard Roth

Das Labyrinth (2005)

Seine Sonderstellung als »Grundbuch« im Gesamtwerk von Gerhard Roth gewinnt Das Labyrinth dadurch, dass es Figuren, Handlungsmuster und Motivkomplexe des Orkus-Zyklus konzentriert, bündelt und miteinander verknäult, zugleich aber auch Verbindungslinien zieht zu seinem wildwüchsigeren Pendant in den Archiven des Schweigens, dem Landläufigen Tod. Die oszillierende Identität der Erzählfiguren, die Roth an die Verrätselungsstrategie der Heteronyme von Fernando Pessoa anlehnt, gehört zu den zentralen poetologischen Merkmalen des Buches. Das Labyrinth ist eine literarische Inszenierung der Erkenntnis, dass individuelle Identitäten nichts Natürliches, Naturgegebenes sind, sondern (soziale) Konstruktionen.
Uwe Schütte

24
Thomas Bernhard

Frost (1963)

Frost. Der Autor: Thomas Bernhard. Der Held in diesem Roman: der Text als gesprochene Schrift – bestehend, sich zusammensetzend, sich entwindend aus dem Studenten, dem Beobachter, vor allem aber aus dem Maler Strauch, dem Beobachteten, aus dem Dorf Weng und seinen Einwohnern, aus der Landschaft – aus Natur, Objekt und Mensch, aus Denken, Reden, Schreiben – das ist Alles und Nichts, der Text.
Das Protokoll spricht, doch es ist kein Protokoll der nüchternen Poesie, obwohl die eine einfache Sprache spricht, keine Metaphern, aber starke, einprägsame Bilder aus der Feder eines Beauftragten. Was wird beauftragt. Es wird die Beobachtung beauftragt, und der Beobachtete, wird erst in der Beobachtung zum Beobachtbaren. Er schafft sich, ohne es zu wissen, das ist der Kunstgriff des Autors, aus der Fremdbeobachtung heraus. Er selbst stellt fest, handelt, dirigiert, verlangt, befiehlt, fragt. Aber das Fragen ist ein Antworten in den eigenen Spiegel hinein, der den Studenten umkleidet. Schon in der Frage blitzt die Antwort auf.
Nur – es gibt kein Land der Hörer, es gibt keine zu Belehrenden, nur den Untertan, es gibt zwar das Außen, aber das ist das andere, und es gibt nur den Körper, das nie eigene, der sich in diesem anderen findet, aber nicht zuhause fühlt.
Der Student und der Maler Strauch, sie sind sich in dieser umspannenden Körperwelt nah und entfernt wie Opfer und Täter oder Geliebte und Geliebter oder Geliebter und Geliebter – Leidenschaft und Gewalt, Hingabe und Unterwerfung, Hass der Nähe, Zuneigung der Ferne, das sind die Eigenschaften, die sie einander entgegenbringen und die um sie herum aufgebaut werden…
Ferdinand Schmatz

25
Friederike Mayröcker

mein Herz mein Zimmer mein Name (1988)

Der Akt des Schreibens stellt sich in mein Herz mein Zimmer mein Name als ein Akt des Übersetzens dar: Etwas, und zwar etwas überaus Dringliches und Unaufschiebbares ist zu sagen, gleichzeitig fordert dieses Etwas von sich selbst eine bestimmte Form der Mitteilung. Die Poetisierung der Welt – ein romantisches Konzept gewiss – erweist sich unter diesen Vorzeichen weniger als ein geschliffenes literarisches Programm, sondern schon als eine letzte Überlebensstrategie. [...] In ihrem »halluzinatorischen« Prosastil radikalisiert Mayröcker ihre Schreibweise, indem sie das Ensemble der disparaten Elemente, das sie im Schreiben auffächert, letztlich wieder auf ihrem eigenen Körper zusammenzwingt. Nicht nur Blut und Tränen entweichen dem Körper solcherart; es sprießen der Schreibenden auch »Nerven aus dem Schädel« und Nervenfäden hängen ihr von den Fingern weg. Mein Herz mein Zimmer mein Name ist eine Nervenkunst, in der sich ein entblößter Körper mit den in der Wohnung gestapelten Zetteln kleidet, die dann auch auf dem Cover der Erstausgabe zu sehen sind: Flugzettel, Notiz- und Schreibzettel, Warnzettel, Merkzettel, Bittzettel, Küchen- und TABU-Zettel zu Türmen gestapelt. Im Laufe des Schreibens verwandelt sich der Körper der Schreibenden, eingepasst in das ihn umgebende Zettelwerk, selbst zu einer Art Schrift.
Klaus Kastberger

publikationen

Dokumentationsbände

der ersten 75 Grundbuch-Veranstaltungen sind 2007, 2013 und 2019 in der Buchreihe profile des Wiener Zsolnay Verlags erschienen.


der hammer nr. 66