programm
Angrenzende Gewalt
DICHTERLOH
Zweisprachige Lesung, Gespräch auf Englisch
Zwei Welten, Orte, Kulturen und ein Ich, das als Du zwischen diesen navigiert, in die andere eintaucht, dort, in Syrien, die Spuren und Gegenwart des Krieges liest, die der eigenen Familien-Geschichte und die Frage der Möglichkeit von Selbst-Erkenntnis mit den Mitteln der Poesie in immer neuen Anläufen weitertreibt.
Ronya Othmann, *1993 in München als Tochter einer Deutschen und eines aus Nordsyrien vertriebenen kurdischen Jesiden. 2014 Flucht der Familie aus Syrien wegen Bedrohung durch den sog. »Islamischen Staat«. Romandebüt Die Sommer (2020).
Bis an eine Grenze verdichtet, singen die Gedichte Anzhelina Polonskayas
den bitteren Gesang der Desillusionierung, der Trauer, des Nihilismus
und lösen aus ihnen Gegentöne, Gegenstille, Gegenbilder von äußerst
eindringlicher Art.
Anzhelina Polonskaya, *1969 in Malakhovka, einer Vorstadt von Moskau.
Karriere als Eiskunstläuferin, längere Aufenthalte in Lateinamerika, den
USA, dzt. wieder in Deutschland; Publikationsverbot in Russland.
Gedichtbände u.a. Schwärzer als Weiß (2015) und Grönland (2016; beide
Ü.: E. Ahrndt).
Lyrikfestival Dichterloh 16.–24.5.
Wie klingt Holz, das seinen Kontext zeigt und sich gleichzeitig aus diesem löst? Wie lässt sich der Naturzerstörung und den kapitalistischen Zwängen - dichterisch - begegnen? Was passiert mit Sprache, wenn sie den Anfechtungen von Gewalt und Krieg ausgesetzt ist und welche Stimme(n) kann sie dabei ausprägen? Und wie nahe kann (dichterische) Sprache an die Unwägbarkeiten und Essenzen von Liebe und Eros heran und was und wie erinnert sie uns? Das sind einige der elementaren Fragen, die sich durch die Gedichte der zehn Dichter*innen aus sechs Sprach- und Kulturräumen ziehen und die zeigen, wie sich die aktuelle Poesie sowohl mit jahrtausendealten als auch mit höchst brisanten oder gänzlich unerwarteten Themen auseinandersetzt und dabei unsere Sinne und Wahrnehmungsmöglichkeiten schärft und erweitert.
Dichtung ist ein staunenswertes Werkzeug der Erkenntnis. Sie vermag sich aus dem Gefüge der Logik, der Grammatik, der Einsprachigkeit, des Subjekts, aber auch der strengen Bindung ans Objekt zu lösen, was sie manchen verdächtig, anderen auf den ersten Blick schwierig erscheinen lässt. Doch ermöglicht es ihr gerade diese Freiheit und Neugierde beim Grenzüberschritt, festgefahrene Muster der Welt- und Wirklichkeitserklärung hinter sich zu lassen. Dichtung fordert weit aus dem Gewohnten heraus und sie steigt tief in die Strukturen von Denken, Sprache, Ich und Gesellschaft hinein. Dichterloh leuchtet uns diese nuanciert aus.
Michael Hammerschmid
Konzept, Moderation und Programmtexte