programm
84. Grundbuch der österreichischen Literatur seit 1945
So bewegt auch das Leben Paula Ludwigs, so vielfältig ihre künstlerischen und persönlichen Beziehungen waren, so kontinuierlich verläuft die Entwicklung ihrer dichterischen Sprache. Von einer »ergreifenden Kraft und Einfalt der Sprache« (Hermann Kasack) hin zu großen Anrufungen und Oden der Liebe und des Daseins. Pflanzen- und Tierwelt bilden den Rahmen einer schlichten Bildlichkeit und eines langen Atems des Erhabenen, in den das menschliche Leben und Lieben mit seinen expressiven Momenten eingebunden bleibt. Zwei ihrer Gedichtbände, Der himmlische Spiegel und Dem dunklen Gott, waren von den Begegnungen und Jahren mit ihren Liebespartnern, dem Richter und expressionistischen Dichter Friedrich Koffka und dem surrealistischen Dichter Yvan Goll, geprägt. K. Neumann
Wer kennt heute noch Paula Ludwig (1900–1974), die vor dem Zweiten Weltkrieg eine renommierte Lyrikerin und Prosaistin war? Es lohnt sich, ihren vielschichtigen, bildmächtigen Zyklus Dem dunklen Gott (1932), aus der Liebe zu Yvan Goll entstanden, wieder zu lesen, oder ihre zarten Jugendgedichte. Um dann in der späten, nach den Erfahrungen von Krieg und Emigration entstandenen Lyrik einen ganz anderen Ton zu finden, teils anklagend, teils lakonisch konstatierend und von der Sorge um den Fortbestand der Menschheit und der Natur diktiert. U. Längle
Paula Ludwig, Schriftstellerin und Malerin, *1900 in Feldkirch. 1909–1914 Schulzeit in Linz, nach dem Tod der Mutter beim Vater in Breslau. Erste Gedichte, Mitglied der Breslauer Dichterschule. 1917 Geburt eines Sohnes, lebt von da an in München. Dienstmädchen, Aktmodell und Souffleuse an den Kammerspielen. Bekanntschaft mit Stefan George, Else Lasker-Schüler, Klaus und Erika Mann, Waldemar Bonsels. Malerei und kunstgewerbliche Arbeiten, ab 1923 in Berlin. Ab 1927 Atelier am Kurfürstendamm, Bekanntschaft u.a. mit Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky, den Brüdern Eduard und Carl Zuckmayer und Joachim Ringelnatz; leidenschaftliche Liebes- und Arbeitsbeziehung mit Yvan Goll. 1933 verließ sie Deutschland, lebte in Tirol, 1938 über die Schweiz nach Frankreich, 1940–1953 in Brasilien im Exil. Rückkehr nach Vorarlberg, dann Übersiedlung zu ihrem Sohn nach Wetzlar. Sie starb 1974 in Darmstadt. Gedichtbände: Die selige Spur (1919); Der himmlische Spiegel (1927); Dem dunklen Gott. Ein Jahresgedicht der Liebe (1932/2015); Gedichte (1937); Gedichte. Eine Auswahl aus der Zeit von 1920 bis 1958 (1958). Prosa: Traumlandschaft (1935/1938); Buch des Lebens (Autobiografie; 1936); Träume. Aufzeichnungen aus den Jahren zwischen 1920–1960 (1962).
Michael Donhauser, *1956 in Vaduz, lebt in Wien, schreibt Lyrik und Prosa, übersetzt aus dem Französischen. Zuletzt: Schönste Lieder. Einsame Fuge (2019).
Ulrike Längle, *1953, Literaturwissenschaftlerin, Autorin; leitete 1984–2018 das Franz-Michael-Felder-Archiv zur Vorarlberger Literatur in Bregenz.