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programm

Montag, 20. November 2023

Nicht nur mit geliehener Zunge

122. AUTORENPROJEKT

19:00
Franz Josef Czernin geliehene zungen Gedichte. Carl Hanser Verlag
20:00
Theresia Prammer Similitudini Ein Bildersturm
Paul-Henri Campbell Schnee ist das Blut der Geister Manuskript, dt./engl.
Thomas Eder MODERATION
Franz Josef Czernin KONZEPT, GESPRÄCHSMITWIRKUNG

Ein Gedicht zu schreiben ist oft eine Weise, bei anderen Dingen, und nicht nur bei anderen Gedichten, Anleihen zu nehmen, das heisse hier auch: etwas von ihnen zu übertragen. Das beginnt oder endet mit einer Form, mit Reimen etwa oder Metren, und reicht über Motive bis zu Dingen jenseits von Sprache, bis zu allen möglichen Wirklichkeiten vielleicht. Umgekehrt, so eine schöne poetologische Utopie, könnten alle möglichen Wirklichkeiten das sein, was immerzu bei Gedichten Anleihen nimmt, etwas von ihnen überträgt. Das endet oder beginnt dann mit einem Atom, einem Staubkorn, einem Gedanken oder eben mit einem Gedicht.

F. J. Czernin

In den grotesken Gedichten des Bandes geliehene zungen erschließt Franz Josef Czernin auch das Feld des Körperlichen, Abstrusen, Ausufernden, Exzessiven und Tabuisierten. Das generische, all-anwendbare Offenhalten, das in seinen früheren Gedichten häufig den Pronomina und den Funktionswörtern zugewandt war, ist in diesen Gedichten in die saftigen Semantikkörper der Nomina, Verben und Adjektive verlagert. Die Gedichte variieren Redewendungen, die ineinander verwunden werden und damit aus dem kurzschlussartigen ihres gesamthaften Bedeutens in den erlebenden Nachvollzug ihrer mehreren Bedeutungskerne ausgreifen, sie sind zugleich wörtlich und übertragen, zugleich banal und erhaben. Es entstehen Neologismen durch hart gefügte Komposita, es wirken Mehrfachdetermination zwischen Klang und Sinn, Stellungsparallelismen, Wortartentravestien.

T. Eder

Franz Josef Czernin, *1952, lebt in der Steiermark und in Wien. Gedichte (u.a. mehrere Sonett-Sammlungen), literaturkritische Schriften, Aphorismen. Zuletzt u.a.: reisen, auch winterlich. Gedichte (2019).

Theresia Prammer, *1973. Essays, Schwerpunkt-Dossiers, Übersetzungen aus dem Italienischen, Französischen und vom Deutschen ins Italienische, Veranstaltungs- und Herausgabetätigkeit. Zuletzt u.a.: Pier Paolo Pasolini: Ein Unfall im Kosmos (Hg. und Üs., 2023).

Paul-Henri Campbell, *1982 in Boston, Studium der Katholischen Theologie und Klassischen Philologie, lebt in Frankfurt und Wien. Zuletzt: innere organe. Gedichte (2022).

Thomas Eder, *1968, Literaturwissenschaftler, Referatsleiter im Bundeskanzleramt. Zuletzt: Oswald Wieners Theorie des Denkens. Gespräche und Essays zu Grundfragen der Kognitionswissenschaft (Hg. m. T. Raab u. M. Schwarz, 2023).