programm
Verzeichnisse der Anomalien
Im Tractatus illogico-insanus kollidiert das dem Wittgenstein’schen Tractatus entlehnte
Ordnungsschema mit einem anarchischen Zugriff, der ständig Chaos in die
Ordnung bringt. Mit Abschweifungen und Gedankensprüngen torpediert der
Autor einen stringenten Aufbau und zerreißt rote Fäden. Theorie und die
Parodie von Theoriebildung werden ununterscheidbar, Kalauer
konterkarieren aphoristische Einsichten: »Sätze sind Kacke.« Kanaks Tractatus kann man von beiden Seiten aufschlagen und in einer deutschen und einer englischen Version lesen.
Wenn
in der Dichtungstradition der Mond angerufen wurde, lag zwischen dem
lyrischen Ich und dem Erdtrabanten bislang eine unüberbrückbare Distanz
(»Ich auf der Erd’, am Himmel du«). Die überwindet Stefan Schmitzer in
seinem Langgedicht und lenkt den Blick auf den Schrott, den – beginnend
mit der sowjetischen Raumsonde Lunik 2 1959 – bisher 66 Mondmissionen
angehäuft haben. Entlang dieses Inventars lässt sich die Geschichte der
letzten sechs Dezennien schlaglichtartig rekapitulieren, die
Fachsprachen fordern die dichterische Rede heraus.
F. Neuner
Mark Kanak, *1965 in Belleville/Illinois (USA), seit 2013 in Berlin; Autor, Übersetzer (u.a. Rolf Dieter Brinkmann), Hörspielmacher. Für Herbst 2023 ist eine Theaterinszenierung des Tractatus illogico-insanus geplant.
Stefan Schmitzer, *1979 in Graz. Lyrik, Prosa, Kritiken, Textperformances, u.a. mit der Musikerin Margarethe Maierhofer-Lischka. Zuletzt (u.a.): okzident express. Falsch erinnerte Lieder (2019).
Florian Neuner, *1972 in Wels, lebt in Berlin und Wien, Herausgeber der Idiome – Hefte für Neue Prosa; Kurator der Reihe maerz_sprachkunst in Linz. Zuletzt: Rost. Eine psychogeographische Expedition (2021).