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88. Grundbuch der österreichischen Literatur seit 1945
Der 1951 erschienene historische Liebesroman Désirée erreichte in kurzer Zeit Millionenauflagen und wurde in mehr als 25 Sprachen übersetzt. Beinahe vergessen ist dagegen die Verfasserin, die Schriftstellerin Annemarie Selinko, geboren 1914 in Wien, die den Roman ihrer in Auschwitz ermordeten Schwester Liselotte widmet.
Das fiktive Tagebuch erzählt die Geschichte Désirée Clarys, einer Seidenhändler-Tochter aus Marseille, die durch ihre Heirat mit dem französischen Marschall Bernadotte Königin von Schweden wurde. Biographische und zeithistorische Bezüge eröffnen interessante Lesarten eines bisher als bloße Unterhaltungsliteratur rezipierten Romans.
C. Gürtler
Annemarie Selinko, *1914 in Wien, Konversion der Familie vom mosaischen zum evangelischen Glauben. Sprach- und Geschichtsstudium in Wien, Arbeit als Journalistin. 1937 erster internationaler Erfolgsroman Ich war ein häßliches Mädchen; heiratet 1938 den dänischen Diplomaten Erling Kristiansen, dänische Staatsbürgerin, Übersiedlung nach Kopenhagen, Mitarbeit in der dänischen Widerstandsbewegung, 1943 kurze Gestapohaft, Flucht mit Fischerboot nach Schweden. Ihre Mutter und ihre Schwester wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Rückkehr nach Kopenhagen, Geburt eines Sohnes. Lebte danach u.a. in Stockholm, Paris und London; verstorben 1986 in Kopenhagen. Weitere Buchpublikationen: Morgen ist alles besser (1938); Heut heiratet mein Mann (1940, Amsterdam; 1950 Wien) Désirée. Ein historischer Roman (1951). Desirée wurde zum international erfolgreichsten österreichischen Roman nach 1945, Hollywood-Verfilmung u.a. mit Marlon Brando 1954; weitere sieben internationale Verfilmungen ihrer Bücher.
Vea Kaiser, *1988 in St. Pölten, Studium der klassischen und deutschen Philologie in Wien. Übersetzerin, Fremdenführerin, Kolumnistin, lebt in Wien. Zwei Jahre Jurorin des Ingeborg-Bachmann-Preises.
Romanpublikationen: Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam (2012); Makarionissi oder Die Insel der Seligen (2015); Rückwärtswalzer oder Die Manen der Familie Prischinger (2019); Die sieben Leben der Marie Schwarz (mit E. Rossmann, G. Klemm, L. Mischkulnig, A. Reitzer, C. Travnicek, D. Knecht; 2020). Theaterstück: Die Argonauten (2012).
Christa Gürtler, *1956 in Linz, Studium der Germanistik, Kunstgeschichte und Publizistik in Salzburg. Seit 1982 Arbeit in der Erwachsenenbildung und Literaturvermittlung, seit 2019 Obfrau des Vereins Literaturfest Salzburg. Seit 1984 Lektorin an den Universitäten Salzburg, Klagenfurt (1989–1996), internationale Lehraufenthalte. Publikationen (Auswahl): Schreiben Frauen anders? Untersuchungen zu Ingeborg Bachmann und Barbara Frischmuth (1985); Eigensinn und Widerstand. Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie (mit S. Schmid-Bortenschlager; 1998); Erfolg und Verfolgung. Österreichische Schriftstellerinnen 1918–1945. Fünfzehn Porträts und Texte (mit S. Schmid-Bortenschlager; 2002); Ingeborg Bachmann. Klagenfurt – Wien – Rom (2006). Herausgeberin und Mitherausgeberin u.a. von Gegen den schönen Schein. Texte zu Elfriede Jelinek (1990); Elfriede Gerstl. Dossier 18 (2002); Andreas Okopenko. Dossier 23 (2004); Ich möchte wissen, wo ich hingekommen bin! Marlen Haushofer 1920–1970 (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung; 2010); Ilse Aichinger. Behutsam kämpfen (2013); Elfriede Gerstl. Werkausgabe in fünf Bänden (2012–2017); Salzburger Stefan-Zweig-Poetik-Vorlesungen Bände 1–8 (2013–2022).