programm
83. Grundbuch der österreichischen Literatur seit 1945
Alois Brandstetter musste seine Teilnahme leider kurzfristig absagen, die Lesung übernimmt Kurt Neumann.
Zu Lasten der Briefträger ist die lange Rede eines Mannes über beklagenswerte Zustände bei der Post und in der Welt. Indem die virtuose Handhabung rhetorischer Mittel Phrasen zur Kenntlichkeit bloßstellt, vermag die Gesellschaftskritik zugleich als Satire einer Gesellschaftskritik zu wirken; und die alte rhetorische Form der Schimpfrede findet sich ironisch gebrochen.
Mit seinem ersten Roman hat Brandstetter nicht nur eine originelle Prosa geschaffen, sondern auch eine für sein gesamtes Werk konstitutive Erzählform angewendet. Der tiefgreifende und gewitzte Zugang lässt gesellschaftliche Phänomene kritisch und satirisch im Lichte impliziter Sprachkritik erstehen. Es tut gut, den Roman heute zu lesen. Nicht nur wegen des literarischen Genusses, sondern auch weil er eine Kommunikationswelt zeigt, wie sie in digitalen Zeiten nicht mehr besteht, und zugleich frühe Ansätze aktueller Miseren aufs Korn nimmt, die damals noch abzuwenden gewesen wären.
K. Zeyringer
Alois Brandstetter, *1938 in Pichl bei Wels, lebt in Klagenfurt. Univ.-Prof. für Ältere deutsche Sprache und Literatur, zahlreiche Auszeichnungen. Literarische Veröffentlichungen seit 1969, zuletzt u.a.: Zur Entlastung der Briefträger. Roman (2011); Lebenszeichen. Prosa (2018); Lebensreise. Biographie (2020).
Klaus Zeyringer, *1953, Literaturwissenschaftler und -kritiker, universitäre Lehre in Frankreich. Publikationen (u.a.): Österr. Literatur seit 1945 (1999); Eine Literaturgeschichte: Österreich seit 1650 (mit H. Gollner, 2012).